Atlantis
geöffnetes Fenster kam - und auf seine vier erhobenen Finger sowie auf den Daumen geschaut, der noch an seiner Handfläche lag. Veteranen waren drogensüchtig. Veteranen gab man meistens besser keinen Kredit, das würde einem jeder Bankmensch sagen (in den Jahren, in denen Sully sein Autohaus auf die Beine gestellt hatte, war ihm das von mehreren Bankleuten erklärt worden). Veteranen überzogen ihre Kreditkarten, wurden aus Spielcasinos geworfen, weinten bei Songs von George Strait und Patty Loveless, gingen in Bars beim Shuffleboard-Spielen mit dem Messer aufeinander los, kauften sich rasante Sportwagen auf Kredit und fuhren sie dann zu Schrott, verprügelten ihre Frauen, ihre Kinder, ja sogar ihre verdammten Hunde , und schnitten sich wahrscheinlich öfter beim Rasieren als Leute, die das Grüne nur vom Kinosessel her kannten, aus Apocalypse Now oder diesem verdammten Stück Scheiße, Die durch die Hölle gehen .
»Was ist der Daumen?«, fragte Dieffenbaker. »Na los, Sully, mach’s nicht so spannend.«
Sully blickte auf seinen angelegten Daumen. Er sah Dieffenbaker an, der jetzt eine Bifokalbrille trug und einen Schmerbauch hatte (»das Haus, das Bud gebaut hat«, wie Vietnamveteranen es für gewöhnlich nannten), in dessen Innerem jedoch immer noch der dünne junge Mann mit der Wachskerzenhaut verborgen sein mochte. Dann schaute er wieder auf seinen Daumen und klappte ihn aus wie jemand, der an der Straße stand und mitgenommen werden wollte.
»Vietnamveteranen haben immer Zippos dabei«, sagte er. »Zumindest bis sie aufhören zu rauchen.«
»Oder bis sie Krebs kriegen«, sagte Dieffenbaker. »Dann winden ihre Frauen ihnen die Dinger zweifelsohne aus den erschlaffenden, gelähmten Fingern.«
»Außer bei denen, die geschieden sind«, sagte Sully, und sie lachten beide. Es war schön gewesen draußen neben der Leichenhalle. Na ja, vielleicht nicht gerade schön , aber besser als drinnen. Die Orgelmusik da drin war schlimm, der stickige Geruch der Blumen war noch schlimmer. Der Geruch der Blumen erinnerte Sully ans Mekong-Delta. »In country«, sagten die Leute jetzt, aber er konnte sich nicht entsinnen, diesen speziellen Ausdruck damals gehört zu haben.
»Dann hast du deine Eier also doch nicht ganz verloren«, sagte Dieffenbaker.
»Nein, hab’s nicht ganz ins Jake-Barnes-Land geschafft.«
»Wohin?«
»Egal.« Sully war kein großer Bücherfreund, das war er noch nie gewesen (im Gegensatz zu seinem Freund Bobby,
der hatte die Nase ständig in irgendein Buch gesteckt), aber der Bibliothekar in der Reha-Klinik hatte ihm Fiesta gegeben, und Sully hatte es eifrig gelesen, nicht nur einmal, sondern dreimal. Damals war es ihm sehr wichtig vorgekommen - so wichtig wie dieses Buch, Herr der Fliegen , für Bobby, als sie noch Kinder gewesen waren. Jetzt schien Jake Barnes weit entfernt zu sein, ein Blechmann wie im Zauberer von Oz mit künstlichen Problemen. Nur eine Erfindung unter vielen.
»Wirklich?«
»Ja. Ich kann mit einer Frau schlafen, wenn ich wirklich will - Kinder sind nicht drin, aber Sex schon. Dazu ist aber eine ganze Menge Vorbereitung nötig, und meistens scheint es mir nicht der Mühe wert zu sein.«
Dieffenbaker schwieg geraume Zeit. Er saß da und schaute auf seine Hände. Als er aufblickte, dachte Sully, er würde sagen, er müsse los, sich rasch von der Witwe verabschieden und sich dann wieder in den Kampf stürzen (Sully glaubte, dass der Kampf im Fall des neuen Lieutenants heutzutage etwas mit dem Verkauf von Computern zu tun hatte, die etwas Magisches namens Pentium enthielten), aber Dieffenbaker sagte nichts dergleichen. Er fragte: »Und was ist mit der alten Frau? Siehst du sie noch, oder ist sie weg?«
Sully hatte gespürt, wie sich ganz weit hinten in seinem Kopf Furcht regte - ungeformt, aber sehr stark. »Welche alte Frau?« Er konnte sich nicht entsinnen, Dieffenbaker von ihr erzählt zu haben, konnte sich nicht entsinnen, irgendwem von ihr erzählt zu haben, aber natürlich musste er es getan haben. Scheiße, er konnte Dieffenbaker bei diesen Wiedersehenspicknicks sonst was erzählt haben; sie waren nichts
als nach Schnaps stinkende schwarze Löcher in seinem Gedächtnis, jedes einzelne.
»Die alte mamasan «, sagte Dieffenbaker und holte wieder seine Zigaretten heraus. »Die Malenfant getötet hat. Du hast gesagt, dass du sie immer gesehen hast. ›Manchmal hat sie andere Sachen an, aber es ist immer dieselbe‹, hast du gesagt. Siehst du sie noch?«
»Kann ich auch so
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