Atlantis
Peasley, Mims und den anderen selbst ernannten Regulatoren, deren Namen Sully nicht mehr wusste. Dann hatte er Dieffenbaker wieder direkt in die Augen geschaut. Alles in allem waren es sechs bis acht Männer, die durchgeknallt waren, die unter lautem Gebrüll - Football-Parolen, Marschliedern aus der Grundausbildung, dem Refrain von »Hang On Sloopy« und solchem Scheiß - auf der schlammigen Straße an dem schreienden, blutenden Kind vorbeitrabten, hinein in dieses dreckige kleine Dorf, und Slocum sagte mit den Augen: He, was wollen Sie? Sie sind jetzt der Boss, was wollen Sie?
Und Dieffenbaker hatte genickt.
Sully fragte sich, ob er selbst fähig gewesen wäre, dieses Zeichen zu geben. Er glaubte es nicht. Er glaubte, wenn es auf ihn angekommen wäre, dann hätten Clemson, Malenfant und die anderen durchgeknallten Typen gemordet, bis ihnen die Munition ausgegangen wäre - war das nicht ziemlich genau das Gleiche, was die Männer unter Calley und Medina getan hatten? Aber Dieffenbaker war kein William Calley, das musste man ihm lassen. Dieffenbaker hatte ganz leicht genickt. Slocum hatte das Nicken erwidert, dann das Gewehr angelegt und Ralph Clemson den Kopf weggeschossen.
Damals hatte Sully gedacht, Clemson hätte die Kugel abgekriegt, weil Slocum Malenfant zu gut kannte. Slocum und Malenfant hatten mehr als nur ein paar Joints miteinander geraucht, und es war auch bekannt, dass Slocum seine Freizeit zumindest teilweise damit verbrachte, zusammen mit
den anderen Hearts-Spielern die Schlampe zu jagen. Doch als Sully nun hier saß und Dieffenbakers Dunhill zwischen den Fingern rollte, kam ihm der Gedanke, dass Slocum einen Dreck auf Malenfant und seine Joints gegeben hatte, und auf Malenfants Lieblingskartenspiel ebenso wenig. In Vietnam herrschte kein Mangel an Shit oder Kartenspielen. Slocum hatte sich Clemson ausgesucht, weil er nichts damit erreicht hätte, wenn er Malenfant erschossen hätte. Malenfant mit seinem schwachsinnigen Gebrüll über aufgespießte Köpfe, die dem Cong zeigen würden, was mit Leuten passierte, die sich mit Delta Lightning anlegten, war zu weit weg, als dass die Männer, die spritzend, planschend und schießend die schlammige Straße entlangtrabten, auf ihn geachtet hätten. Und die alte mamasan war eh schon tot, also Scheiß drauf, sollte er doch an ihr rumschnetzeln.
Jetzt war Deef Dieffenbaker, ein glatzköpfiger Computerhändler, der nicht mehr zu den Treffen ging. Er gab Sully mit seinem Zippo Feuer und sah dann zu, wie Sully den Rauch tief einsog und wieder aushustete.
»’ne Weile her, was?«, fragte Dieffenbaker.
»Zwei Jahre, so um den Dreh.«
»Willst du wissen, was mir wirklich Angst macht? Wie schnell man sich’s wieder angewöhnt.«
»Ich hab dir von der alten Frau erzählt, hm?«
»Ja.«
»Wann?«
»Ich glaube, beim letzten Treffen, zu dem du gekommen bist … dem am Meer in Jersey, bei dem Durgin dieser einen Kellnerin die Bluse heruntergerissen hat. Das war’ne hässliche Szene, Mann.«
»Wirklich? Kann mich gar nicht erinnern.«
»Da warst du schon sternhagelvoll.«
Ja, natürlich, das war immer so. Und überhaupt, diese ganzen Treffen liefen doch immer haargenau gleich ab. Es gab einen DJ, der meistens früh Schluss machte, weil ihm jemand mit der Begründung, er spiele die falschen Sachen, Prügel androhte. Bis es so weit war, plärrte »Bad Moon Rising«, »Light My Fire«, »Gimme Some Lovin’« und »My Girl« aus den Lautsprechern, Songs aus den Soundtracks all dieser auf den Philippinen gedrehten Vietnamfilme. Die Wahrheit bezüglich der Musik war, dass die meisten Frontschweine, an die Sully sich erinnerte, von den Carpenters oder »Angel of the Morning« zu Tränen gerührt wurden. Dieses Zeug war der echte Busch-Soundtrack, der immer lief, wenn die Männer dicke Joints und Bilder ihrer Mädchen herumgehen ließen, bis sie high waren, und wenn sie dann »One Tin Soldier (The Legend of Billy Jack)« hörten, im Grünen allgemein bekannt als »Der Titelsong aus Fuckin Billy Jack«, wurden sie völlig sentimental. Sully konnte sich nicht entsinnen, in Vietnam auch nur ein einziges Mal die Doors gehört zu haben; es waren immer The Strawberry Alarm Clock, die »Incense and Peppermints« sangen. In gewisser Weise hatte er gewusst, dass der Krieg verloren war, als dieses verdammte Scheißstück zum ersten Mal aus der Jukebox der Verpflegungsausgabestelle an seine Ohren gedrungen war.
Die Treffen begannen mit Musik, dem Geruch von Grillfleisch (ein
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