Atlantis
Geruch, der Sully immer vage an brennenden Hubschraubertreibstoff erinnerte) und mit Bierdosen in Kübeln mit zerstoßenem Eis, und dieser Teil war in Ordnung, dieser Teil war wirklich ziemlich nett, aber dann war es ganz plötzlich der nächste Morgen, das Licht verbrannte einem
die Augen, der Kopf fühlte sich wie ein Tumor an, und der Magen war voller Gift. An einem solchen Morgen danach hatte Sully sich verschwommen und mit einem Gefühl des Ekels daran erinnert, dass er den DJ gezwungen hatte, immer wieder »Oh! Carol« von Neil Sedaka zu spielen, und ihm gedroht hatte, er würde ihn umbringen, wenn er was anderes auflegte. An einem anderen Morgen war er neben Frank Peasleys Exfrau erwacht. Sie hatte geschnarcht, weil ihre Nase gebrochen war. Ihr Kopfkissen war blutbeschmiert, ihre Wangen waren ebenfalls blutbeschmiert, und Sully wusste nicht mehr, ob er ihr die Nase gebrochen hatte oder ob es der verfluchte Peasley gewesen war. Sully wünschte sich, dass es Peasley gewesen war, wusste jedoch, dass er es selbst getan haben konnte; manchmal, besonders in den Zeiten v. V. (vor Viagra), wo er beim Sex fast in der Hälfte der Fälle versagte, drehte er durch. Zum Glück konnte die Frau sich auch nicht mehr erinnern, als sie aufwachte. Sie wusste aber noch, wie er ohne seine Unterhose ausgesehen hatte. »Wieso hast du nur eins?«, hatte sie ihn gefragt.
»Ich hab schon Glück gehabt, dass mir dieses eine geblieben ist«, hatte Sully erwidert. Sein Kopf war dicker gewesen als die ganze Welt.
»Was hab ich über die alte Frau erzählt?«, fragte er Dieffenbaker, als sie rauchend in der Gasse neben der Kapelle saßen.
Dieffenbaker zuckte die Achseln. »Nur dass du sie dauernd gesehen hast. Du hast gesagt, manchmal hätte sie andere Sachen an, aber es sei immer die alte mamasan , die Malenfant alle gemacht hat. Ich musste dir sagen, dass du den Mund halten solltest.«
»Scheiße«, sagte Sully und fuhr sich mit der zigarettenlosen Hand durch die Haare.
»Du hast auch gesagt, es wär besser geworden, seit du an der Ostküste bist«, fuhr Dieffenbaker fort. »Außerdem, was ist so schlimm daran, wenn man ab und zu mal’ne alte Frau sieht? Manche Leute sehen fliegende Untertassen.«
»Aber keine Leute, die zwei Banken fast eine Million Dollar schulden«, sagte Sully. »Wenn die das wüssten …«
»Wenn sie das wüssten, was dann? Ich sag’s dir: nichts. Solange du deine Raten zahlst, Sully-John, ihnen weiterhin diese fabelhafte monatliche Knete rüberschiebst, interessiert es keinen Menschen, was du siehst, wenn du das Licht ausschaltest … oder meinetwegen auch, was du siehst, wenn du’s brennen lässt. Es ist ihnen egal, ob du Frauenunterwäsche anziehst oder deine Frau schlägst und den Labrador bumst. Außerdem, glaubst du etwa, bei diesen Banken gibt es keine Burschen, die im Grünen gewesen sind?«
Sully zog an der Dunhill und sah Dieffenbaker an. Auf diese Idee war er wahrhaftig noch nie gekommen. Er verhandelte mit zwei Kreditsachbearbeitern, die im richtigen Alter waren, aber sie sprachen nie darüber. Und er natürlich auch nicht. Wenn ich sie das nächste Mal sehe, dachte er, muss ich sie fragen, ob sie Zippos haben. Bloß nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen.
»Warum lächelst du?«, fragte Dieffenbaker.
»Nur so. Was ist mit dir, Deef? Hast du eine Frau? Ich meine nicht deine Freundin, ich meine eine alte Frau. Eine mamasan .«
»He, Mann, nenn mich nicht Deef. So nennt mich heutzutage niemand. Ich hab den Namen nie leiden können.«
»Hast du eine?«
»Ronnie Malenfant ist meine mamasan «, sagte Dieffenbaker. »Manchmal sehe ich ihn. Nicht so, wie du deine, als ob sie wirklich da wäre, aber die Erinnerung ist auch real, oder?«
»Ja.«
Dieffenbaker schüttelte langsam den Kopf. »Wenn die Erinnerung alles wäre. Verstehst du? Wenn die Erinnerung alles wäre.«
Sully saß schweigend da. In der Kapelle spielte die Orgel jetzt etwas, was nicht wie eine Hymne klang, sondern einfach nur wie Musik. Der Schlusschoral, so hieß das wohl. Damit sagte man den Trauernden auf musikalische Art, dass sie sich verziehen sollten. Get back, Jo-Jo. Deine Mama wartet.
Dieffenbaker sagte: »Es gibt die Erinnerung, und dann gibt es das, was du wirklich vor deinem geistigen Auge siehst. So wie wenn du ein Buch von einem richtig guten Autor liest, und er beschreibt einen Raum, und du siehst diesen Raum. Ich mähe den Rasen oder sitze an unserem Konferenztisch und höre mir eine Präsentation an, ich
Weitere Kostenlose Bücher