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Atlantis

Titel: Atlantis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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einem Kampferpräparat ein, weil sie schmerzten. Mittlerweile schmerzten sie sogar, wenn es draußen warm war, sagte er.

    Diese Nähe zu Ted machte ihm keine Angst, aber sie war trotzdem irgendwie schrecklich. Man sah, dass Ted bald sehr alt sein würde, selbst wenn er es jetzt noch nicht war. Wahrscheinlich würde er auch krank sein. Seine Augen waren wässrig. Die Mundwinkel zitterten ein bisschen. Es war wirklich schlimm, dass er ganz allein hier oben im zweiten Stock hausen musste, dachte Bobby. Wenn er eine Frau gehabt hätte oder so, wäre er von dieser Marotte mit den niederen Männern vielleicht verschont geblieben. Andererseits hätte Bobby dann Herr der Fliegen vielleicht nie gelesen. Eine egoistische Denkweise, aber er konnte es nicht ändern.
    »Keine Anzeichen von ihnen, Bobby?«
    Bobby schüttelte den Kopf.
    »Und du spürst nichts? Hier oben?« Er nahm die rechte Hand von Bobbys linker Schulter und tippte sich an die Schläfe, wo zwei blaue, leicht pulsierende Venen saßen. Bobby schüttelte den Kopf. »Oder hier?« Ted zog die Haut am rechten Augenwinkel herunter. Bobby schüttelte erneut den Kopf. »Oder hier?« Ted berührte seinen Bauch. Bobby schüttelte zum vierten Mal den Kopf.
    »Okay«, sagte Ted und lächelte. Er ließ die linke Hand in Bobbys Nacken gleiten. Seine rechte Hand kam dazu. Er blickte Bobby ernst in die Augen, und Bobby schaute ernst zurück. »Du würdest es mir doch erzählen, oder? Du würdest nicht versuchen … ach, ich weiß nicht … meine Gefühle zu schonen?«
    »Nein«, sagte Bobby. Er fand es angenehm und unangenehm zugleich, Teds Hände in seinem Nacken zu spüren. Da würde ein Mann im Film vielleicht die Hände hinlegen, bevor er das Mädchen küsste. »Nein, ich würde es erzählen. Das ist doch mein Job.«

    Ted nickte. Er löste die Hände langsam voneinander und ließ sie sinken. Dann stand er auf, wobei er sich am Tisch abstützte, und verzog das Gesicht, als es in einem Knie vernehmlich knackte. »Ja, du würdest es mir erzählen, du bist ein guter Junge. Na los, mach deinen Spaziergang! Aber bleib auf dem Bürgersteig, Bobby, und komm nach Hause, bevor es dunkel wird. Heutzutage muss man vorsichtig sein.«
    »Ich bin vorsichtig.« Er machte sich auf den Weg nach unten.
    »Und wenn du sie siehst …«
    »Laufe ich weg.«
    »Ja.« Im schwindenden Licht war Teds Gesicht grimmig. »Als ob der Teufel hinter dir her wäre.«
    Ted hatte ihn also angefasst, und möglicherweise waren die Ängste seiner Mutter in gewisser Weise begründet gewesen - möglicherweise hatte es zu viele Berührungen gegeben, darunter auch einige von der falschen Sorte. Vielleicht nicht in dem Sinn falsch, in dem sie es meinte, aber trotzdem falsch. Trotzdem gefährlich.
     
    Am Mittwoch bevor die Schule für diesen Sommer zu Ende ging sah Bobby an einer Fernsehantenne drüben in der Colony Street einen roten Stoffstreifen hängen. Er konnte das Gebilde nicht genau erkennen, aber es sah einem Drachenschwanz bemerkenswert ähnlich. Bobby blieb schlagartig stehen. Gleichzeitig schlug sein Herz immer schneller, bis es hämmerte wie bei den Wettrennen, die er sich mit Sully-John auf dem Heimweg von der Schule lieferte.
    Es ist ein Zufall, selbst wenn es ein Drachenschwanz ist, sagte er sich. Bloß ein lausiger Zufall. Das weißt du doch, oder?

    Vielleicht. Vielleicht wusste er es. Am Freitag, dem letzten Schultag, glaubte er es jedenfalls beinahe. Bobby ging an diesem Tag allein nach Hause; Sully-John war freiwillig in der Schule geblieben und half, Bücher im Magazin zu verstauen, und Carol war auf dem Weg zu Tina Lebel, die ihren Geburtstag feierte. Kurz bevor er die Asher Avenue überquerte und den Broad Street Hill hinunterging, sah er ein Himmel-und-Hölle-Spiel, das mit violetter Kreide auf den Bürgersteig gezeichnet war. Es sah so aus:
    »O Gott, nein«, flüsterte Bobby. »Das ist doch wohl ein Scherz.«
    Er ging auf ein Knie wie ein Kavalleriescout im Western, ohne auf die Kinder zu achten, die auf dem Nachhauseweg an ihm vorbeikamen - manche zu Fuß, andere per Fahrrad, ein paar auf Rollschuhen, Francis Utterson mit den vorstehenden Zähnen auf seinem rostigen roten Tretroller, Gelächter in den Himmel blökend, während er sich abstieß und dahinrollte. Sie beachteten ihn beinahe ebenso wenig
wie er sie; die großen F hatten gerade angefangen, und die meisten waren ganz benommen von all den Möglichkeiten, die sich vor ihnen auftaten.
    »O nein, o nein, ich glaub’s einfach nicht,

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