Atlantis
Hartford Railroad zur Main Street hinabführte, wo ein Taxistand war. Sie bewegte sich langsam und bedächtig, wie eine chronische Invalide. Ein Koffer baumelte von jeder Hand herab. Mr. Burton, der Besitzer des Zeitungskiosks, stand zufällig gerade in seiner Tür und rauchte eine Zigarette. Er sah, wie Liz am Fuß der Treppe ankam, den Schleier ihres kleinen Hutes lüpfte und behutsam mit einem Taschentuch an ihrem Gesicht herumtupfte. Bei jeder Berührung zuckte sie zusammen. Sie hatte Make-up aufgelegt, viel sogar, aber das nutzte nichts. Das Make-up lenkte nur die Aufmerksamkeit darauf, was ihr zugestoßen war. Der Schleier war besser, obwohl er nur den oberen Teil ihres Gesichts bedeckte, und jetzt ließ sie ihn wieder herab. Sie ging auf das erste der drei im Leerlauf vor sich hintuckernden Taxis zu, und der Fahrer stieg aus, um ihr mit den Koffern zu helfen.
Burton fragte sich, wer sie so übel zugerichtet hatte. Er hoffte, der Täter bekäme jetzt gerade eine Kopfmassage von großen Cops mit Knüppeln aus hartem Hickoryholz. Ein Mensch, der einer Frau so etwas antat, hatte es nicht besser verdient. Ein Mensch, der einer Frau so etwas antat, durfte nicht frei herumlaufen. Das war Burtons Meinung.
Bobby dachte, Ted würde Carol aufs Sofa legen, aber das tat er nicht. Im Wohnzimmer stand ein Stuhl mit gerader Lehne, und auf den setzte er sich mit ihr auf dem Schoß. Er hielt sie wie der Weihnachtsmann in Grant’s Kaufhaus die kleinen Kinder, die zu ihm kamen, wenn er auf seinem Thron saß.
»Wo bist du sonst noch verletzt? Außer an der Schulter?«
»Sie haben mich in den Bauch geschlagen. Und in die Seite.«
»Welche Seite?«
»Die rechte.«
Ted zog ihre Bluse an dieser Seite behutsam hoch. Bobby sog zischend die Luft über die Unterlippe hinweg ein, als er den Bluterguss sah, der sich diagonal über ihren Brustkorb erstreckte. Er erkannte den Baseballschlägerumriss sofort. Er wusste, wessen Schläger das gewesen war: der von Harry Doolin, dem pickligen Lausejungen, der sich in der verkümmerten Welt seiner sogenannten Fantasie für Robin Hood hielt. Er, Richie O’Meara und Willie Shearman waren im Park auf Carol gestoßen, und Harry hatte sie mit seinem Baseballschläger bearbeitet, während Richie und Willie sie festgehalten hatten. Alle drei hatten gelacht und sie »Gerber-Baby« genannt. Vielleicht hatte es als Scherz begonnen und war dann außer Kontrolle geraten. War das nicht ziemlich genau dasselbe, was in Herr der Fliegen geschehen
war? Dass alles einfach ein bisschen außer Kontrolle geraten war?
Ted berührte Carols Taille; seine knotigen Finger spreizten sich und glitten dann langsam an ihrer Seite nach oben. Er tat das mit leicht schief gelegtem Kopf, als würde er lauschen, statt sie zu berühren. Vielleicht war es auch so. Carol schnappte nach Luft, als er den Bluterguss erreichte.
»Tut’s weh?«, fragte Ted.
»Ein bisschen. Nicht so schlimm wie meine Sch-Schulter. Sie haben mir den Arm gebrochen, oder?«
»Nein, ich glaube nicht«, erwiderte Ted.
»Ich hab’s knacken hören. Die auch. Deshalb sind sie weggelaufen.«
»Das glaube ich gern, dass du das gehört hast. Tatsächlich.«
Tränen liefen ihr über die Wangen, und ihr Gesicht war immer noch aschfahl, aber sie wirkte jetzt ruhiger. Ted hielt ihre hochgezogene Bluse in den Achselhöhlen fest und sah sich den Bluterguss an. Er weiß genauso gut wie ich, was das für eine Form ist, dachte Bobby.
»Wie viele waren es, Carol?«
Drei, dachte Bobby.
»D-Drei.«
»Drei Jungs?«
Sie nickte.
»Drei Jungs gegen ein Mädchen. Sie müssen Angst vor dir gehabt haben. Sie müssen dich für eine Löwin gehalten haben. Bist du eine Löwin, Carol?«
»Ich wünschte, ich wäre eine«, sagte Carol. Sie versuchte zu lächeln. »Ich wünschte, ich hätte brüllen und sie verjagen können. Sie haben mir w-w -weh getan.«
»Ja, ich weiß. Ich weiß.« Seine Hand glitt an ihrer Seite nach unten und umfasste den von dem Baseballschläger stammenden Bluterguss an ihrem Brustkorb. »Atme mal ein.«
Der Bluterguss schwoll gegen Teds Hand; Bobby sah den blauroten Umriss zwischen seinen nikotinfleckigen Fingern. »Tut das weh?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Wenn du atmest?«
»Nein.«
»Auch nicht, wenn deine Rippen gegen meine Hand drücken?«
»Nein. Nur ein bisschen. Was richtig wehtut, ist …« Sie warf einen raschen Blick auf den schrecklichen Umriss ihrer doppelten Schulter und schaute dann sofort wieder weg.
»Ich weiß.
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