Atlantis
Arme Carol. Armer Schatz. Dazu kommen wir gleich. Wohin haben sie dich noch geschlagen? In den Bauch, hast du gesagt?«
»Ja.«
Ted zog ihr die Bluse vorn hoch. Dort war ein weiterer blauer Fleck, aber dieser sah nicht ganz so schlimm und auch nicht ganz so blaurot aus. Er drückte vorsichtig mit den Fingern, erst über dem Bauchnabel, dann darunter. Sie sagte, sie habe dort keine richtigen Schmerzen wie in der Schulter, der Bauch tue nur ein bisschen weh, wie die Rippen.
»Auf den Rücken haben sie dich nicht geschlagen?«
»N-Nein.«
»Auf den Kopf oder an den Hals?«
»Mhm, nur in die Seite und den Bauch, und dann haben sich mich gegen die Schulter geschlagen, und da war dieses Knacken, und sie haben’s gehört und sind abgehauen.
Ich hab gedacht, Willie Shearman wäre nett.« Sie warf Ted einen kummervollen Blick zu.
»Dreh den Kopf zu mir, Carol … gut … jetzt in die andere Richtung. Tut es nicht weh, wenn du ihn drehst?«
»Nein.«
»Und du bist dir sicher, dass sie dich nicht auf den Kopf geschlagen haben.«
»Nein. Ich meine, ja, ich bin mir sicher.«
»Da hast du Glück gehabt.«
Bobby fragte sich, wie Ted bloß auf die Idee kommen konnte, Carol habe Glück gehabt. Ihr linker Arm sah für ihn nicht nur gebrochen aus; er sah aus, als wäre er halb abgerissen. Er dachte plötzlich an ein Sonntagsessen mit Brathähnchen und das Geräusch, das die Keule machte, wenn man sie abdrehte. Sein Magen verknotete sich. Einen Moment lang glaubte er, er würde sein Frühstück und sein einziges Mittagessen, das altbackene Brot, wieder von sich geben.
Nein, befahl er sich. Nicht jetzt, das geht nicht. Ted hat schon genug Probleme, da muss er dich nicht auch noch auf die Liste setzen.
»Bobby?« Teds Stimme war klar und scharf. Er klang wie jemand, der mehr Lösungen als Probleme hatte, und das war eine große Erleichterung. »Alles in Ordnung mit dir?«
»Ja.« Und er glaubte, dass das stimmte. Sein Magen beruhigte sich allmählich wieder.
»Gut. Das hast du prima gemacht, dass du sie hierhergebracht hast. Kannst du noch ein bisschen so weitermachen?«
»Ja.«
»Ich brauche eine Schere. Kannst du mir eine holen?«
Bobby ging ins Zimmer seiner Mutter, öffnete die oberste Schublade ihrer Kommode und holte ihren Nähkorb aus Weidengeflecht heraus. Darin lag eine mittelgroße Schere. Mit dieser lief er rasch ins Wohnzimmer zurück und zeigte sie Ted. »Reicht die?«
»Vollkommen«, sagte Ted und nahm sie. Dann wandte er sich an Carol. »Ich werde deine Bluse kaputtmachen, Carol. Tut mir leid, aber ich muss mir jetzt deine Schulter ansehen, und ich will dir nicht mehr wehtun als unbedingt nötig.«
»Ist schon gut«, sagte sie und versuchte erneut zu lächeln. Bobby verspürte ein wenig Ehrfurcht vor ihrer Tapferkeit; wenn seine Schulter so ausgesehen hätte, hätte er wahrscheinlich geblökt wie ein Schaf, das sich in einem Stacheldrahtzahn verfangen hatte.
»Auf dem Heimweg kannst du ein Hemd von Bobby anziehen. Nicht wahr, Bobby?«
»Klar, ich hab nichts gegen ein paar Läuse.«
»Sehr wit -zig«, sagte Carol.
Ted schnitt den Kittel sorgfältig erst hinten und dann vorn auf. Anschließend zog er die beiden Teile wie eine Eierschale ab. Auf der linken Seite war er sehr vorsichtig, aber sie stieß einen heiseren Schrei aus, als Teds Finger ihre Schulter streiften. Bobby zuckte zusammen, und sein Herz, das mittlerweile wieder langsamer schlug, begann erneut zu rasen. »Tut mir leid«, sagte Ted leise. »Oje. Schau dir das an!«
Carols Schulter war übel zugerichtet, aber nicht so schlimm, wie Bobby befürchtet hatte - vielleicht traf das auf die meisten Dinge zu, sobald man sie sich genau ansah. Die zweite
Schulter war oberhalb der normalen, und die Haut war dort so straff gespannt, dass Bobby nicht verstand, wieso sie nicht einfach aufriss. Sie hatte auch eine eigenartige lila Färbung angenommen.
»Wie schlimm ist es?«, fragte Carol. Sie schaute in die andere Richtung, quer durchs Zimmer. Ihr kleines Gesicht hatte den abgehärmten, verhungerten Ausdruck eines UNICEF-Kindes. Soweit Bobby wusste, hatte sie ihre verletzte Schulter nach diesem einen raschen Blick nicht mehr angesehen. »Ich werde den ganzen Sommer einen Gips tragen müssen, stimmt’s?«
»Ich glaube nicht, dass du überhaupt einen Gips tragen musst.«
Carol schaute verwundert in Teds Gesicht hinauf.
»Der Arm ist nicht gebrochen, Kleines, nur ausgekugelt. Jemand hat dich auf die Schulter geschlagen …«
»Harry
Weitere Kostenlose Bücher