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Atlas eines ängstlichen Mannes

Atlas eines ängstlichen Mannes

Titel: Atlas eines ängstlichen Mannes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Ransmayr
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vorsichtigen Flossenschlägen zu halten, vorsichtig, weil das vierzehn, vielleicht fünfzehn Meter lange und wohl zwischen zwanzig und dreißig Tonnen schwere Tier in der Tiefe –
scheu
war und schon von den Bewegungen eines hoch über ihr paddelnden, bloß mit Schnorchel und Taucherbrille bewehrten Schwimmers beunruhigt werden konnte: So zumindest hatte mich ein Meeresbiologe aus Tucson, Arizona, an Bord jenes Schiffes belehrt, von dem ich in den Morgenstunden gemeinsam mit fünf anderen
whale watchers
in einem Schlauchboot abgelegt hatte, um einen Vormittag lang Ausschau zu halten nach dem Blas, den Atemluftfontänen der Wale. Schon an der Reling unseres Mutterschiffs hatten wir die verwehenden Schleier von mehr als einem Dutzend solcher Fontänen gesehen – und dann auch jenen namengebenden Buckel, mit dem ein Wal unter dem Kondenswasserstaub seines Atems wieder abtauchte und dabei die Fluke wie zu einem letzten Winken vor dem Verschwinden über die Wellen erhob.
    Eine dieser sprühenden, im Sonnenlicht manchmal in den Spektralfarben aufleuchtenden Fontänen – und dann eine lange Fährte aus aneinandergereihten Stellen glatten Wassers, die, riesigen Fußstapfen ähnlich, durch die Flossenschläge eines dicht unter der Oberfläche dahinziehenden Wals entstanden, hatten uns schließlich an den Ort geführt, an dem nun die Kuh in der Tiefe schlief, vielleicht träumte. Und wir waren vom Schlauchboot lautlos ins Wasser geglitten, um eines der größten Säugetiere der Evolution aus nächster Nähe zu beobachten. Meine Ohren waren voll Wasser. Ich starrte in die Tiefe, hörte nichts außer meinem eigenen durch den Schnorchel fauchenden Atem und hielt bei der leisesten, tatsächlichen oder bloß vermeintlichen, Bewegung des schwarzen Tiers dort unten unwillkürlich die Luft an wie einer, der seine Entdeckung fürchten muß.
    Es war ein strahlender, windiger Februartag auf den
Silverbanks
. Diese mehrere hundert Quadratkilometer große, von Korallenriffen gezähnte Untiefe sechzig nautische Meilen nördlich der Küsten von Haiti und der Dominikanischen Republik war in den Wintermonaten der nördlichen Hemisphäre einmal mehr zu einer Bühne des Lebens der Buckelwale geworden. Vier- bis fünftausend von ihnen schwammen in diesen Monaten aus nordatlantischen Meeresregionen um den halben Erdball, um in den ruhigen Untiefen karibischer und benachbarter tropischer Gewässer Brautschau zu halten, Rivalenkämpfe auszufechten, ihre Kälber in den Techniken des ozeanischen Überlebens zu unterweisen oder Strophe um Strophe ihrer rätselhaften – und für den, der das rechte Ohr dafür hatte, über Hunderte Kilometer hörbaren – Lieder zu singen.
    Die unter amerikanischer Flagge kreuzende Yacht, die mit sechs Besatzungsmitgliedern und fünfzehn Atlantikschwimmern und Walfreunden an Bord eine Woche über den Silverbanks vor Anker liegen sollte, war eines von jährlich drei Schiffen, die mit einer Lizenz der Dominikanischen Republik in die Welt der Buckelwale eindringen durften. Wir hatten diese Welt zwölf Stunden nach dem Auslaufen aus dem dominikanischen Puerto Plata und nach einer langen Sturmnacht erreicht. Selbst der Erste Offizier und die Kapitänin, eine Weltumseglerin aus dem englischen Lake District, trugen am Morgen unserer Ankunft im ruhigen Wasser der Silverbanks, das wie ein großer See inmitten eines stürmischen Ozeans glitzerte, immer noch weiße Pflaster gegen die Seekrankheit auf der Haut. Die Yacht lag nun an Mooringketten zwischen zwei Korallenriffen und in Sichtweite eines geborstenen Frachters, der vor Jahren gegen diese Korallen gelaufen war und seither als ein von Möwen umschwärmtes, unter den Wellenschlägen manchmal metallisch ächzendes Seezeichen aus dem seichten Riffwasser ragte: eine Erinnerung auch daran, daß diese Untiefen ihren Namen spanischen Galeonen verdankten, die hier, schwer mit Silber und anderem Raubgut aus einer
Neuen Welt
befrachtet, gescheitert waren.
    Wir hatten uns den ganzen Vormittag über vom Blas und den Fährten der Wale leiten lassen und waren ihnen im Schlauchboot dahin und dorthin, schließlich so weit hinaus gefolgt, bis die rostzerfressenen Aufbauten und geknickten Ladekräne dieses Wracks, dann auch die Funkmasten unseres eigenen Mutterschiffs unter den nun ringsum leeren Horizont gesunken waren.
    Auf dieser Pirschfahrt hatten wir Buckelwalbullen gesehen, die mit wenigen Flukenschlägen die Gesamtheit ihrer ungeheuren Masse aus dem Wasser katapultierten, dann

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