Atlas eines ängstlichen Mannes
zu den Ruinen auf einer der verlassenen Calf Islands zu begleiten. Er wollte dort Schieferplatten von eingestürzten Dächern sammeln, um damit eine Kapelle neu zu decken: Schiefer von den Calfs sei der beste in ganz Irland und würde die Madonna seiner Kapelle noch in hundert Jahren vor Sturm und Regen schützen. Bei einem mißglückten Anlegemanöver an einer verfallenen Mole war unser Boot dann aber auf Felsengrund gelaufen und leck geschlagen.
Nun saßen wir mit nassen Füßen auf zwei Ballen engmaschiger Netze im Boot unseres Retters, der uns den Rücken zukehrte und halblaut vor sich hin in die Windstille fluchte. Er hatte an diesem Tag fünf Dutzend Hummerkörbe, große, mit Steinen beschwerte und Ködern versehene Drahtkörbe, die er, zu langen Ketten zusammengebunden, vor zwei Tagen versenkt hatte, in stundenlanger Arbeit wieder hochgeholt und nur einen einzigen Hummer darin gefunden.
Einen Hummer. Ein einziger, gottverfluchter Hummer in sechzig Körben. Sechzig Körbe, und ein Hummer!
Die Beute, ein tintenblauer Atlantikhummer von mittlerer Größe, versuchte, auf dem Boden einer Plastikwanne, die groß genug war für zwanzig oder dreißig seinesgleichen, mit zusammengebundenen Scheren zu entkommen.
Dieses gottverdammte Meer machte aus jedem gottverdammten Fischer einen gottverdammten Idioten. Neunundfünfzig leere Körbe!
Die Motorwinde, mit der unser Retter die zusammengebundenen Körbe normalerweise aus der Tiefe hochzog, war an diesem Tag auch nach zahllosen Versuchen nicht in Gang zu bringen gewesen. Also hatte er die schweren Drahtkörbe mit eigenen Händen hochgeholt, Korb für Korb mit eigenen Händen, und darin nur Ballaststeine gefunden und verrottende, stinkende Fischabfälle, Köder.
Scheiße!
Unser Retter hatte uns seine vom Zugseil wundgescheuerten Hände gezeigt.
Leere Scheißkörbe! Und zum Ausgleich dafür ein abgesoffenes Boot. Gab es auf diesem leergefischten, verfluchten Meer denn überhaupt noch etwas anderes als Probleme? Gottverdammte Probleme! Dieses Scheißmeer schlug Molen in Trümmer, schlug Boote leck, zerriß Ankerketten, zerriß Netze, ließ einen in Sturmzeiten oft tagelang nicht zu den Fanggründen und beschenkte einen Idioten, der blöd genug war, um sich in der Fischerei zu plagen, nach tagelangen, nächtelangen Schindereien mit einem einzigen Hummer! Und als Draufgabe mit zerrissenen Netzen, mit leeren Körben, einem Wrack und zwei Schiffbrüchigen. Verfluchte Scheiße.
Wir hatten anfangs gedacht, unser Retter wollte
uns
etwas sagen, auch wenn er sich kein einziges Mal nach uns umdrehte, und hatten zweimal, dreimal nachgefragt, bis wir verstanden, daß der Mann nicht mit uns, sondern mit dem Himmel sprach, dem Meer.
Bei allen Heiligen! Sollte doch der gesamte Atlantik verdampfen, versickern zwischen den gottverdammten Riffen, dann war endlich Ruhe über dem Schlammgrund und kein Vollidiot mußte noch Kredite aufnehmen, um sich ein rostzerfressenes Wrack leisten zu können, mit dem er dann abgesoffene Anglerschiffchen in den Hafen schleppen durfte.
Das Leuchtfeuer des
Beacon
, eine an der Hafeneinfahrt von Baltimore hochragende, weiße Säule, war bereits in Sichtweite, als unser Retter die Maschine in den Leerlauf kuppelte und das Steuerrad losließ.
Von einem Hummer und neunundfünfzig scheißleeren Körben sollte ein verfluchter Fischer die Raten für seinen Kutter bezahlen?, sollte davon seine Frau ernähren und drei Kinder auf ein armseliges, beschissenes, besseres Leben vorbereiten? Von einem Hummer?
Unser Retter war an die Plastikwanne getreten und beugte sich über seine Beute, als begutachte er ein nie gesehenes, geheimnisvolles Wesen aus der Tiefsee, das tatsächlich alle seine Fragen lösen konnte. Dann packte er den Hummer an seinem meerblauen Panzer, löste ihm die Fesseln, spröde Gummibänder, von denen Dutzende, zu Knäueln verstrickt, in der Wanne lagen, hielt das mit seinen befreiten Scheren winkende Tier noch einmal hoch und warf es über Bord.
In der Tiefe
Ich sah eine Walkuh, die in etwa dreißig Meter Wassertiefe schlafend im Blau des Meeresgrundes lag. Sie hatte eine ihrer Brustflossen, die sich als weiße, meterlange Flügel vom Schwarz ihres Körpers abhoben, in einer schützenden Umarmung über ihr Kalb gelegt.
Ich trieb an der Oberfläche eines von Passatwinden zerfurchten Meeres, beobachtete die Riesin und ihr Kind durch meine Taucherbrille und versuchte, meine Position in den kreuz und quer laufenden Wellen mit langsamen,
Weitere Kostenlose Bücher