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Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition)

Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition)

Titel: Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Rothmaier
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Schlafzimmer, zum Bett, in dem Josefine lag und mir den Rücken zuwandte. Das Laken war ihr hinabgerutscht, die Wellenlinie ihrer Hüfte, Taille und Schulter, der Ansatz des langen Arms, das dunkle Haarbüschel auf den hellen Kissen. Sie schien zu schlafen.
    Nie mehr. Es ging nicht.
    »Gehst du?« Ich zuckte zusammen.
    »Ja. Ich muss.« Unter der Decke verlor sich der dunkle Schwung ihres Rückgrats. Links und rechts davon, als hätten zwei Daumen sie zu lange gehalten, waren über ihrem Po zwei Mulden hineingedrückt.
    »Kommst du wieder?« Sie drehte sich aus der Hüfte und sah mich direkt an.
    Ich antwortete nicht.
    Sie wartete ruhig. Ihre Augen waren sehr weit und offen. Die Dunkelheit schien in ihnen zu leben. Nachtschattenwesen. Eine Tiefseeschneckenart, glänzend, träge, unbekannt. Ihr glasiger Blick machte mich schwach und gierig gleichzeitig. Ich hatte ein Ziehen in den Lenden, mein Schwanz brannte.
    »Nein«, stieß ich hervor und hasste zuerst mich, dann sie. »Ich kann nicht. Es geht einfach nicht. Ich kanns dir nicht erklären. Tut mir leid.«
    Ich schulterte die Tasche und ging.
    Durchgesessene Sitze, schief verklemmter Sonnenschutz vor schmierigem Fenster, überfüllte Abfallbehälter, stinkende Zugtoiletten; viel zu viele Menschen um mich, das vor allem. Der Zug war bis auf den letzten Platz besetzt. Ich warf meine Tasche ins Gepäckfach und meine Jacke hinterher. Dann ging ich in den nächsten Wagen und von dort in den übernächsten und immer weiter. Ich kletterte über Gepäckstücke, stieg über ausgestreckte Beine, wich den Schaffnern und der Minibar aus, irgendwann setzte sich der Zug in Bewegung, während ich im Hindernislauf durch die Waggons ging zum Zugende hin und von dort zurück bis zur Lok. Der Zug nahm Fahrt auf, und auch ich beschleunigte, um von der Lok wieder ans Zugende zu kommen. Aus dem Rückfenster des letzten Wagens sah ich lange auf die Schienen unter mir. Wie endlose Stahlfäden huschten sie unter meinen Füßen hervor, näherten sich einander an, rasten im spitzen Winkel aufeinander zu, um sich weit hinter mir, weit hinter Josefine zu treffen. Irgendwo dort, wo ich die Erinnerungen an Paule zurückgelassen hatte, die jetzt über mich hereinbrachen, auf stählernen Schicksalsfäden auf mich zuglitten, während ich auf meinen jämmerlichen Gängen durch die Waggons meine Flucht zu beschleunigen versuchte, sie waren schneller, waren immer schon da, führten mich von München nach Zürich, von Josefine zu Paule und wieder zurück. Pauli. Kein Entkommen. Da, im Unendlichen, wo ich nie hinkommen würde, kreuzten sich die Lebensfäden – und trennten sich wieder. Paule, deren Existenz mit meiner parallel geführt war in den etwas seltsam geformten Chromosomen unserer Tochter, konnte von Strand zu Strand, von Küste zu Küste reisen, ich konnte da bleiben, wo mich das Schicksal festgenagelt hatte, und einen Ausbruchsversuch unternehmen – Josefine, München, um welchen Preis? –, nur um dort wieder vom Stahlfaden der Kindsmutter berührt zu werden. Während ich doch wusste, dass es kein Entkommen gibt, dass in diesem dummen, dicken Mädchenwesen, das mein Leben umgestülpt hatte, die Fäden verknüpft waren. Ein einzelnes überflüssiges, neu mutiertes Gen aber gehörte ihr allein. In ihm war das slapstickhafte Leben, das Lio und ich hatten, festgeschrieben, in ihm gehörte sie nur mir, in ihm war der Grund ihrer Blöde codiert und meiner Blödigkeit festgeschrieben.
    Rastlos rannte ich auf und ab, volle vier Stunden, bis ich kurz vor Sankt Gallen, müde gelaufen, ins Polster fiel und einschlief. Als ich in Zürich ausstieg, hatte ich einen Entschluss gefasst.
    Ein leises Summen, ein hoher Ton, der nicht vom Motor kommt. Lange weilt er auf einer Frequenz, wechselt nach oben, nimmt die großen Stufen der Ganztöne, wird fast verschluckt vom Dröhnen des Motors, ist tiefer unten wieder zu finden, rutscht gleitend an den unteren Rand des Stimmumfangs, ins Dunkle, wo er fast erstirbt, setzt auf einmal auf einer mittleren, gut hörbaren Höhe tonrein wieder ein und arbeitet sich durch weite Improvisationsschleifen in eine Melodie. Lio singt. Im Spiegel sehe ich, wie sie Luft holt, Speichel durch die Zähne schlürft und weitersingt. Die hellen Leitplanken sind ihre Linien. Auf, über und unter sie setzt sie die Noten, folgt ihnen, schneller, wenn wir zügig vorankommen, langsam, eintönig, wenn der Verkehr wieder ins Stocken gerät.
    Und wieder ein Waldrand im Herbstnebel, die

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