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Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition)

Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition)

Titel: Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Rothmaier
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Autobahn in weißem Licht, Grenzübertritt in einen Tunnel und danach ins Offene. Freie Bahn, ich trete das Pedal durch. Buschige Waldstücke liegen am Horizont, braun gefleckt die dunklen Rücken, wie schlafende Tiere. Wir nehmen Fahrt auf. Endlich. Ich gebe Gas, fahre schnell jetzt und mit Lust.
    »Gib Gummi, Konnypapa«, ruft das Mädchen hinter mir, wir schießen durch den Raum, die weißen Nebelmassen teilen sich und kriechen in die Täler, und neben uns überholt ein Hochgeschwindigkeitszug, ich trete das Pedal noch einmal durch, die Fahrbahn fällt leicht ab, wir kommen mit dem Zug gleichauf, und da ist am Himmel als fahle Scheibe die Sonne zu sehen. Leuchte, alter Mond, leuchte. Das Bettlaken zwischen die Zehen geklemmt in die Höhe halten, die Backen aufblasen und aus dem Zimmer auf die Straße rollen, auf der silbernen Mondlichtbahn durch die Stadt.
    »Sag mal, musst du nicht aufs Klo?«
    »Nö.«
    »Lio, musst du sicher nicht aufs Klo?«
    »Sicher nicht.« Sie sieht aus dem Fenster, ich kann in ihrem Gesicht nicht lesen, frage noch einmal, dieselbe Antwort; ich beschließe, am nächsten Rastplatz rauszufahren.
    Als ob eine unsichtbare Hand sie aus der Nacht näher schöbe, kamen die drei Lichter auf mich zu. Endlich. Die Geräusche verstummten, das Lichtsignal über dem Bahnsteig zeigte ein R, dann ein E, die Ampel wechselte von Rot auf Grün. Wie lange hatte ich gewartet? Wie lange saß ich schon hier und hörte den nächtlichen Rangiergeräuschen zu? Dem Quietschen und Rollen, dem puffenden Aufprall, dann dem Dengeln schwerer Metallwerkzeuge gegen die Kupplungen der Wagen; zischendes Entweichen von Druck, der kreischende Knall, mit dem sich der Stromabnehmer von den Oberleitungen löste und sich auf dem Dach der Lok zusammenfaltete wie ein müdes Tier. Das geschäftige Brabbeln der Rollkoffer, die hektischen Schritte der Reisenden, aus denen die Fremdheit klang, die sie in vielen Zugstunden erfasst hatte. Das tastende, suchende Ankommen der Füße auf einem anderen Boden. Betont hartes Auftreten, auf fremdem Pflaster, das selbstverständliche Raumerobern der Körper, die in Anzügen und Businesskostümen stecken. In der Atmosphäre eines Bahnhofs, durchfeuchtet von den Abschiedstränen der Reisenden, durchweht vom Flattern der Taschentücher, von zärtlichen Wiedersehensworten, von Küssen und Umarmungen, hilflose Blumen in der hilflosen Hand bebend auf dem Rücken der Geliebten, von den hoffnungsvollen Blicken derer, die am Ende des Gleises stehend warteten, um sich schauten, auf der Suche nach dem Reisenden, der sich verspätet hat, zielgerichtete Blicke derjenigen, die auf niemanden warteten, die von niemandem erwartet wurden, effizientes Finden des Stadtplans mit Hotelverzeichnis, der Touristeninformation, des Taxistands. Dazwischen die Pendler, deren Schritte jeden Tag zur selben Zeit zweimal dieselben Wege gingen, einmal vom Zug in die Halle, exakt um 7.38 oder um 8.12 oder um 6.44 Uhr, einmal von der Halle zurück zum Zug, um die Strecke nach Hause zu fahren, an der sie jeden Strommasten, jede Wäscheleine und jeden Autostellplatz kannten. All die Menschen auf ihren sinnlosen, immer gleichen Wegen. Hinein ins Abenteuer der neuen Liebe, heraus mit Tränen oder dem Seufzen der Erleichterung, hinein in die Stadt, um eine selbstentfremdete Lohnarbeit zu verrichten, exakt neun Komma drei Stunden später die Rückfahrt, exakt dreizehn Komma sechs Stunden später wieder die Hinfahrt. Tag für Tag. Das streifte alles ungehindert durch mich hindurch.
    Ich wartete auf den letzten Zug, der bald kommen sollte. An den Gleisen entlang ging ich das Delta der stählernen Schienenwege hinaus, die Autonome Kulturwerkstadt Wohlgroth gabs nicht mehr, weg der freie Raum, das überdimensionierte, an die Hauswand gesprühte Bahnhofsschild, das die Reisenden in ZUREICH begrüßte, und kein Graffito mehr, das mir versichert hätte, » Alles wird gut«. Ich war richtig hier und ging und ging, bis ich mich unbeobachtet wähnte und über die Schienen huschte an einen Zwischenort, hinter einem abgestellten Zug, da, wo mich keiner sehen konnte oder vermuten würde, wo es nach Pisse roch und schnell fließendem Flusswasser. Eine Ratte lief gemächlich über die Gleise Richtung Limmat, ich saß und wartete.
    Die Arme um die Knie geschlungen, noch wollte ich den Sprung hinauszögern, der Bewegungsdrang in den Beinen ließ mich zittern. Das dreiäugige Monster aus Stahl, Kupfer und Asbest schob sich mir entgegen. Wie ein loses

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