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Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition)

Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition)

Titel: Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Rothmaier
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… internationaler Transport inklusive Zollabwicklung …«
    Sie ließ das Blatt sinken und sah mich an.
    »Das muss nichts bedeuten«, sagte ich und verstummte sofort. Was für eine dümmliche, schwächliche Beschwichtigung. Das bedeutete den Wegzug Paulines, unsere Trennung, vielleicht für immer. Sie saß da mit gesenktem Kopf.
    »Komm, lass uns gehen. Ich will wissen, was mit der Blöden ist.« Mir fiel nichts anderes ein, und so verstummte ich. Pauline sah mich an, und ich sah an ihrem Blick, dass es vorbei war.
    »Klar«, sagte sie dann munter, steckte den Brief zurück in den Umschlag und schloss die Schublade mit lautem Knall. Kurz darauf rutschten wir den geschwungenen Handlauf des Treppengeländers hinunter, wie wir das immer getan hatten. Nichts würde geschehen. Wir wollten es beide glauben und sprachen nie mehr davon.
    Der Wald stand wie eine schwarze Wand neben der Straße, und über uns blinkten kalt die Sterne. Kein Mond. Wir wanden uns durch eine Lücke im Drahtzaun ins Strandbad hinein und huschten über die Liegewiese zu dem Waldstück, in dem die gewürgte Gine lag. Oder nicht. Ich hatte nicht an die Taschenlampe gedacht und stolperte.
    »Warte!« Ich rieb mir die Knie und blieb hocken, bis sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten.
    »Hier ist es gewesen«, sagte Pauline, doch ich ging weiter.
    »Die Lichtung war kleiner. Hier hat sie uns ihre Unterhose gezeigt.« Wir kicherten und hörten nicht mehr auf. Pauline sog die Luft ein und machte röchelnde, fast schluchzende Laute.
    »Komm weiter.« Ich fasste ihre Hand und tastete mich voran, doch sie entzog sie mir und stapfte hinter mir her.
    »Schscht.« Sie blieb stehen und horchte. Der Wald raschelte an vielen Stellen, und ganz in unserer Nähe gluckste der See ans Ufer. »Warte, sonst trittst du auf sie drauf.« Ich blieb ebenfalls stehen und rief nach Gine. Ich beobachtete die Freundin, wie sie ängstlich herumschaute und die Stelle suchte, an der wir Gine überwältigt hatten.
    Wir suchten alles ab. Die Sterne blinkten weit weg. Tau lag auf den Blättern.
    »Gine«, rief Pauline, » wo bist du?«
    Mir war, als hörte ich ein Stöhnen, und machte es Pauline, die nichts gehört hatte, vor. Ein Röcheln, tief und gepresst, wie in Atemnot. Pauline kreischte. Dann lachte sie laut.
    »Komm weg, da ist doch keiner.«
    »Warte, ich seh was.« Pauline sprang über einen kniehohen Tannenzwerg und bückte sich. Ich sah etwas Helles.
    »Was ist das?« Ich folgte ihr und sah ein Stoffstück, im Unterholz verhakelt. Es war Gines Strickjacke.
    »Komm weg, ich hab Angst.«
    Doch Pauline nahm die Jacke an sich, und wir rannten so schnell wir konnten. Zurück auf die Liegewiese, vorbei an den metallenen Duschen, die wie Galgen in den Nachthimmel ragten, um das totenstille Holzhaus mit den Umkleidekabinen herum, durch die Hecke, den Zaun und auf die dunkle Landstraße. Erst an der Bushaltestelle blieben wir stehen und lauschten keuchend auf die Geräusche um uns her.
    Am nächsten Tag trieben wir uns beim Kiosk herum. Gine war nicht zu sehen. Vielleicht versteckte sie sich hinter dem Ladentisch oder die Mutter versteckte sie. Ich hatte noch immer Angst, dass Frau Huber mir eine runterhauen würde, deshalb schickte ich die Freundin mit der Strickjacke vor und beobachtete aus der Entfernung, was geschehen würde. Frau Huber saß hinter der Verkaufstheke und starrte in die Praline . Auf dem Titelblatt war eine blonde Frau abgebildet, die sich mit beiden Armen so aufstützte, dass ihre Brüste zusammengepresst wurden und sehr dick erschienen. Frau Huber befeuchtete den Finger, blätterte um und starrte in das Heft, wobei sie sehr langsam die Knie öffnete und wieder schloss. Immer wieder. Gine war nirgends zu sehen. Pauline tippte an die Scheibe, Frau Huber erhob sich schwerfällig und fragte mürrisch: »Was willst du?« Pauline zog die Pulmolldose aus ihren Shorts und kaufte Zuckerperlenketten. Hastig griff sie danach, und als ich sah, dass sie wieder wegwollte, drängte ich mich hinter sie, lächelte und fragte, ob Gine da sei. Als die Huber mich sah, warf sie das Heft nach mir. Ich duckte mich, und Pauline übernahm wieder.
    »Wir haben die Strickjacke gefunden und wollten sie ihr zurückbringen.« Frau Huber schien erleichtert, das Misstrauen wich aus ihrem Gesicht.
    »Da wird Gine sich aber freuen.« Sie sah auf eine sehr kleine goldene Uhr, deren Gliederband sich in ihren fleischigen Unterarm gegraben hatte. »Kommt in anderthalb Stunden wieder,

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