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Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition)

Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition)

Titel: Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Rothmaier
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Furchenstrahlen, Augensonnen, der blühende Ginster, die weiße Kuppe des Ida vor dem Überblau des Alls, in das ich aus dem Flugzeugfenster blicke, das ich nicht sehe hier im Dunkel dieser Höhle, das Blau, das Ginstergelb, die klaren Tropfen am Stalaktiten, der den unter ihm Hochstrebenden berühren wird in Millionen Jahren, die Alte auf dem Esel, der vielfach gefältelte Blick unter dem schwarzen Kopftuch. Chérete! Kaffeestaub zwischen den Zähnen, die Zunge löst den Satz nicht im eierschalenhaften Porzellan, ein Finger stippt auf den Boden des Tässchens, aus dem die stechenden Augen lesen, was sein wird. Zukunft. Da hatten sie es schon getan, hatten sich zusammengetan, ein Halbes und ein Halbes, und sich verschraubt zighundertfach, zusammengeschlossen die Glieder zweier Ketten, noch merkte keiner was für lange Zeit.
    Dans ce bassin où jouent des enfants aux yeux noirs – eine löchrige Straße, vierspurig die Nordküste entlang, an der sich die Bettenburgen für Pauschaltouristen türmten. Ein heißer Wind schüttelte die Oleanderbüsche auf dem Mittelstreifen, warf Blütenschwaden über unser Auto und den klebrig aufgeweichten Asphalt. Paule sang, den Ellenbogen ins Fenster gestützt, das flatternde Haar im Wind. Rosa und weiße Blüten stoben herein und setzten sich wie Schneeflocken in ihr dunkles Haar. Sie wollte das Labyrinth sehen, die springenden Delfine, das Ruinenfeld – il y a un bel été, qui ne craint pas l ’automne –, über das wir stolperten in der Mittagsglut. Und Paule, die vom Weg abwich, über Seilabsperrungen stieg und hinter einer brüchigen Mauer lauerte, um mir an den Hals zu springen, zeckengleich, und zu saugen, dass mir das Wasser in die Augen schoss und ich sie an den kurzen Haaren packte, mit mir niederzog und voller Gier fast ganz überwältigt hätte, wenn das Schrillen der Trillerpfeife einer Aufseherin uns nicht zurückgetrieben hätte auf den rechten Pfad. So mussten wir warten, bis es Nacht war, bis wir wieder allein waren, und da muss es dann passiert sein. Da hatten wir im reibeisenharten Zirpen der Zikadenflügel das Kind gemacht. Wellenschaum bespritzte die Felsen.
    Paule war ein brauner Fisch. Unter mir, dann auf mir zappelnd, schlängelnd ihr dunkler Körper. Raue Oberfläche, Hautwiderstand, die hellen Dreiecke des Bikinioberteils, in diesen wiederum dunkel, fast schwarz die Brustwarzen, bekleidet und gleichzeitig nackt, verhüllt und vollständig ausgezogen, ein Vexierspiel aus Blöße und Verschleierung: Das war Paule. Sie warf sich von mir, ich legte das Betttuch über sie, sie schob es weg, griff nach mir, ich tastete die hellen Brüste ab, wollte Stoff abreißen von ihr, fühlte die weiße, die dunkle kühle Haut, begriff sie nicht, begriff noch weniger von ihr, als ich begriffen hätte, wenn sie unter tausend Schleiern gesteckt hätte. Sie schlängelte und zuckte unter mir, sie bog den Kopf nach hinten, schlug mit den Füßen, ihr Auge drehte sich ins Weiß, ein Fisch mit weit geöffneten Kiemen, der springend starb. Ich sank in sie hinein und riss die Augen auf. Da, über uns das Bild der Höhle, Psiloritis. Steinlappen, Erdwucherungen, glitschiger Fels.
    Haltlos trieben wir über die Insel, rasten auf Schotterpisten bis in den äußersten Zipfel einer steinigen Landzunge, wo wir in einer sichelrunden Kieselbucht drei Wochen blieben. Zwei Zelte, drei Sonnenschirme, ein paar übrig gebliebene Hippies, ein verfallenes Kloster, da und dort eine versprengte Ziege. Felswände umstellten die Bucht, kratzten am Blau des Himmels. Paule, brauner Fisch, schwamm nackt, schwamm weit hinaus, sprang spritzend in die Höhe, die Haarsträhnen wie Pinsel in der Stirn, den lachenden Mund weit offen. Ich wollte glauben, unbedingt, dass das die Liebe war. Ich wusste nichts, spürte nichts. Doch ein Jahr später, als sie weg war, begann ich jede Woche, jede Nacht dieses Sommers von der Zikadennacht an zu durchdenken – wie oft wir miteinander geschlafen hatten –, und es fiel mir kein einziges Mal dieser vielen Male mehr ein, nur diese eine Nacht, als Paule weiß-braun auf mir zappelte und unter mir schwamm. Der Rest unserer Liebesgeschichte war verschmolzen zu einer trägen Masse Erinnerung, aus der ein Eselsrücken ragte, und auf ihm eine Alte, unter dem Kopftuch ein Schrumpelgesicht. Mauersegler, Riesenwespen, gelbe Margeriten. Spitzenklöppeleien und die Windmühlen der Lassithi, lila Disteln, heiße Schwaden Salbeiluft, Orangenhaine, ziegelfarbene Erde und dann und

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