Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition)
Pr tty Love. Grellrosa zuerst, dann gelb, rot, orange, rosa, gelb, rot, orange. Eine ziehende Leere in mir, ich trat durch die Schwingtüren des Puffs, ging an die Bar und bestellte einen Whisky. Keine Ahnung, warum ich sagte, Scotch, doppelt und ohne Eis. Vermutlich, weil ich mir wie in einem Film vorkam und im Stress immer nur vorgestanzte Formeln von mir geben kann. Das fast nackte Mädchen hinter der Bar hatte keinen Scotch, und so musste ich Southern Comfort nehmen, von dem ich sofort Kopfschmerzen bekommen würde. Als ich den ersten Schluck trank, wusste ich, was es war. Traurigkeit.
Im Dunkel des Lokals saßen vereinzelte Gestalten und sahen einer Asiatin zu, die sich auf einer improvisierten Bühne an der Stange wand. Irgendwo schepperte eine streitsüchtige Männerstimme. Mein Schädel pulsierte in einem hämmernden Rhythmus, während Birkin-Gainsbourg aus den Boxen Je t’aime sangen. Ich bestellte einen Wodka und ein Aspirin und noch einen Wodka, nachdem ich die Medizin geschluckt hatte. Die Asiatin überließ die Stange einer Blondine mit sehr großen, sehr prallen Brüsten und näherte sich mit einem verschwommenen Lächeln. Ich bot ihr eine Zigarette an und bestellte Champagner für sie. Gehorsam legte sie die Hand auf meinen Schenkel und begann eine lallende Konversation. Die Schwingtüren bewegten sich, ich sah über die kleine Frau hinweg einen erbsengrünen Stofffetzen verschwinden, doch als ich draußen stand und nach Paule suchte, war da keiner, nur die weiße Mondsichel am Himmel, und über mir blinkte es rosa, gelb, rot, orange. Hinter mir schwangen die Türen, die Fistelstimme näherte sich, und weil der Clubbesitzer dachte, ich wolle mich aus dem Staub machen, oder weil sein Gegenüber kapituliert hatte und er einen anderen zum Streiten suchte, kam er mir nach. Ich drehte mich um und rannte gegen die Schwingtüren, vielleicht wurden sie auch in meine Richtung gestoßen. Ich hörte die blecherne Stimme mich einen »Saucheib und Hurensohn« nennen und dachte, wie im Film, B-Movie. Dann fiel ich um.
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Dünne Zaunwände aus Drahtgeflecht huschen vorbei, rot-weiß-rote Absperrungen, dann ein Schlauch aus übermannshohen Bautafeln, durch den wir gestoßen und gepresst werden. Schnell geht der Verkehr auf zwei schmalen Bahnen dahin, vorn stößt mein Blick an einen dunklen Jaguar, Zigarrenform, Liechtensteiner Kennzeichen, im Rückspiegel an einen SUV .
Rasen durch die Baustelle meines Lebens, wie simpel, denke ich und versuche mich zu erinnern, wie es gewesen ist, als ich noch nicht im Schlauch des Vaterkindalltags steckte, als ich noch nicht geschoben und gestoßen wurde durch den Kanal, in dem so häufig nichts vorangeht, stattdessen sehr viel Druck herrscht auf die Schädelnähte. Eingedrückte Fontanelle, verschobene Kopfplatten und viel Atemlosigkeit. Raupenartiges Robben, Schieben, Sichwinden und vor mir die Kälte. Es hatte mit einer Implosion begonnen, dem Zusammenfallen von Paules kindgeblähtem Körper, auf dem das struppige Menschlein mit dem schwarzen Schopf jetzt lag, – bläulich und verschmiert, nass wie eine getunkte Katze –, das jappte, trank und schließlich schlief. Zu Hause legten wir es zwischen uns und feierten ein insgeheimes Fest. Paule mit traurigen Augen, ich erleichtert. Da wusste sie es schon, da hatte sie sich schon entschieden, ich aber fühlte mich stark wie nie und dachte noch lange nicht darüber nach, womit es begonnen hatte. Nicht mit der Implosion, sondern mit der kosmischen Strahlung, der dünnen Luft.
Wochen nach unserer Wanderung, ich hatte mit dem Auftrag für die Weberei gut verdient und unerwartet für meine erste Graphic Novel ein Werkstipendium erhalten, meldete sich Paule bei mir und entschuldigte sich. Sie sagte, sie sei verliebt und wolle mich wiedersehen. Ein Gefühl, als würde ich aus der Achterbahn steigen. Sofort war da wieder dieser Alarmzustand. Ich zögerte. Doch als sie am nächsten Tag wieder anrief und an jedem der darauffolgenden Tage, als sie nicht lockerließ und mich schließlich fragte, ob ich Lust hätte, mit ihr zu verreisen, sagte ich Ja.
Der Flug in zehntausend Metern Höhe, die kosmische Strahlung, die dünne Luft. Der Sauerstoffmangel, der Druckausgleich in der Kabine, der Gang durch die Höhle, die alte Frau auf ihrem Esel. Wieder und wieder durchdachte ich die Einzelheiten unserer damaligen Reise.
Gesteinsformationen im Bauch der Erde, Steinlappen, vielfach gefältelt, geformt aus Wasser und Kupfer und Eisen und Mangan.
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