Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition)

Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition)

Titel: Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Rothmaier
Vom Netzwerk:
wann ein räudiger Hund. Der Sommerrausch zersprengte die Liebe in farbige Splitter. Alles ging sehr schnell, ich dachte an die Schmerzmittel und anderen Präparate, die Paule in großen Mengen nahm, Alkohol und viele Zigaretten. Ich dachte an die Sicherheitskontrollen im Flughafen, den Fallout einer geheim gehaltenen Atombombenexplosion auf der Insel, die Strahlung in zehntausend Metern Höhe, die frühe Sonnenglut, den roten Staub, die minoischen Labyrinthe, die Alte auf dem Esel und ihren schwarzen Blick.

SEQUEL
    Dumpfes Rauschen, Gurgeln tief unten, unhörbar dem menschlichen Ohr: das Pumpen der Säfte, Lymphe, Liquor, Zellwasser, Blut – helles, zähes Klingen, schnelles, tief liegendes Klopfen, entferntes Pulsen auf mittlerer Frequenz. Schicksal angelegt in einer Kette aus vier Buchstaben; wir warten auf die zweite Kette, warten, bis unsere Blase schwillt, bis die monatlich sich wiederholenden Bewegungen sie wegspülen, in Wellenbewegungen über weißlichen Pelz, den Trichter, die Röhre hinab, Drift über nassen Flaum, jetzt warten wir auf die Begegnung, ein Zusammentreffen im schwarzroten Raum. Tausend Schlingungen der sich wiederholenden Säuren in nur dem Unwissenden beliebig scheinender Ordnung, dennoch einem Plan, unserem Plan, entsprechend, A und C und T und G in gieriger Erwartung jetzt, ein Gegenüber zu finden im nanometerkleinen Bläschen, das auf wedelnden Flaumhaaren vom Zeugungssaft in die Dunkelheit geflutet wird, eines von Millionen irrender Wesen, die huschen, ihn abtasten, in Fältelungen und Hautlappen vordringen, Peitschenwesen, abprallend, bis eines sich verbohrt, den Wedel abwirft, weiter vorstößt ins Gallert und wir auf die anderen treffen, einander finden, A sein T und G sein C, wo wir Leitern bilden in den krummen Chromosomenstäben, Stapelwechselwirkungen sich einstellen, CG stabiler, AT unverdrossen, und wir in Verknüpfungen, Verschränkungen die Doppelhelix bauen. Die Strahlung in zehntausend Metern Höhe, der kretische Staub, Ruinenfelder und der vielfach gefältelte Blick auf den Grund einer winzigen Tasse, in die Schlieren des Kaffeesatzes, Reste des mehligen Pulvers, das zwischen Wangenhaut und Zähnen knirscht. Wir verknüpfen, verketten, verklammern und verschrauben, passen uns aneinander an, wenn eines nicht zum andern findet, versuchen wir hier und da etwas Neues in den Chromosomenstäben. Substanzen, Räusche, Rauschen in der Nacht, es liegt der silberfischartige Eindringling umschlossen von Gelee, in dickes Gallert gepackt, endlich haben wir uns alle verknüpft und dann: Stille. Der Kloß liegt da, er regt sich nicht, er teilt sich nicht. Für achtundzwanzig Stunden. Alles, alles, selbst die Flaumhärchen stehen still. Der Meerschaum leckt die Felsen. Das Meeresrauschen weckt die junge Frau. Ihr ist schlecht, sie kotzt. Wir liegen still. Wir warten.

7
    Im Innen das Außen. Und immer bauen sie. In den großen Städten und entlang der Küsten. Bauen neu und um und aus. Stellen Bauzäune auf und höhlen die Häuser dahinter aus, reißen die Erdoberfläche auf mit Baggerlöffeln, Grabekrallen, Schaufelladern. Sie buddeln und graben, scharren und wühlen und saugen schlürfend Grundwasser ab. Schaltafeln stellen sie in die Gruben, bauen Holzwände in fußbreitem Abstand, stecken rostiges Baustahlgewebe dazwischen und füllen träg fließenden Beton ein. Gießen Fundamente und Mauern, schichten Stein auf Stein, die tragenden Wände zuerst. Mörtel zwischen die Ziegelsteine und von der Kante die überquellende Masse abstreifen und vor den nächsten Stein streichen, ihn einsetzen, den Mörtel abstreichen und den nächsten Stein setzen, sie prüfen mit der Wasserwaage und der harten, straff gespannten Schnur, sie reihen Stein an Stein. Braunrote Zähne im grauen Mörtelfleisch. Mauern, geschichtet oder gegossen zu immer neuen Ferienanlagen, Bürogebäuden, Wohnsiedlungen, Reihenhäusern, Garagen, Lagerhallen. Immer wird gebaut in den großen Städten: umgebaut und rückgebaut, und an den Küstenstreifen neu gebaut, die Häuser wie Streichholzschachteln in die kurvigen Rundungen der Küste gedrückt. Und Paule war es, die die Baustellen fand, denn sie konnte sie riechen über viele Hundert Meter hinweg, über Autobahnzubringer, Wurstbuden, Tankstellen, Kläranlagen, Mohnfelder und Olivenhaine hinweg. Über all die Gerüche und Gestänke, die modrigen, fauligen, fettigen, die würzigen, blumigen und staubigen, hinweg konnte sie den kühlen Duft trocknenden Gemäuers riechen und

Weitere Kostenlose Bücher