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Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition)

Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition)

Titel: Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Rothmaier
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hier noch folgen würden, hätte ich mir die Frage auch jetzt nicht gestellt. Einer hatte ihre Hände auf eine Platte geklebt, um ein Röntgenbild zu machen, einer hatte einen Film aufgenommen, in dem man sehen konnte, wie das Kind die Hölzchen nicht greifen konnte, die ihm hingehalten wurden, eine hatte ihr mit dem Stroboskop auf die schlafenden Augen geblitzt, eine und noch eine und noch eine hatten ihr den Schlauch in die Nase gesteckt, den sie sich trotz der weißen Beutelchen wieder herausriss, einer hatte ihr eine Elektrode an den Fuß geklebt, woraufhin ein Apparat grüne Zahlen anzeigte. 128 oder 96. Oder andere. Eine hatte sie zum Schwitzen gebracht und die farblosen Tröpfchen mit einer Spritze vom Arm gesaugt. Dieser hatte die Königin auf die weißen Schuhe gekotzt.
    Hier nun saß der fünfundzwanzigste Mensch, ließ das Kind von seinem Hilfspersonal fotografieren und stechen, untersuchte Lichtbild und Blut, beugte den kahlen Schädel über den Säuglingskörper und sagte nichts. Er will es nicht sagen, vermutete ich, und dann: Er kann es nicht sagen. Er weiß es nicht. Auch er hat keinen Namen für das, was der Königin fehlt. Leise verließ er das Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Ich wartete mit dem Kind auf dem Schoß und sah mich um. Rechts das Fenster mit dem Schreibtisch, darüber in einem Regal dickleibige Nachschlagewerke. Catalogue of Chromosome Aberration in Man. Vor dem Fenster wiegten sich zwei Tannen im Wind, Blitze in großen Abständen, denen kein Donner folgte. Um sie zu wärmen, wickelte ich Lio in meinen Pullover. Gegenüber die Liege mit Endlospapier, links die Tür, die sich jetzt öffnete. Herein kam der Fünfundzwanzigste und mit ihm vier weitere, die vage in den Raum nickten und sich an ihren Klemmbrettern festhielten. Wieder wurde ich aufgefordert, das Kind zu entkleiden und auf die Liege zu legen. Sehr flach, mit durchgestreckten Extremitäten, lag Lio da und drehte den Kopf, zu den Tannen, die sich vor dem Fenster bewegten. Die Spezialisten scharten sich um die Liege, neigten die Köpfe und betrachteten das Kind. Sie schwiegen. Sie wechselten Standort und Perspektive. Sie hielten die Klemmbretter auf den Rücken und machten nachdenkliche Laute. Hmm. Hm. Räuspern. Ähem. Von Lio konnte ich nichts sehen und hören. Die Ärzte sprachen leise zueinander. Tuscheln und zustimmendes Brummen. Sie waren alle zivil gekleidet, in Pullover, Cordhosen, grau und braun und kamelfarben, und aus irgendeinem Grund irritierte mich das. Die einzige Frau unter ihnen trug einen Faltenrock. Sie war es, die jetzt den Kopf hob, das Haar hinter die Ohren klemmte und fragte: »Wie heißt das Kind überhaupt? Hat es einen Namen?« Dabei fixierte sie einen Punkt an der Wand knapp oberhalb von meinem Scheitel.
    »Lioba Marie Leutenegger«, gab ich zur Antwort und stand auf. Die Frau reagierte nicht darauf, schien durch mich hindurchzusehen und wandte sich an den neben ihr stehenden Kollegen, einen sehr langen Typen mit akkuratem Seitenscheitel und einer dicken Hornbrille, die seine Augen groß wie Guppyfische machte. Er schob sich die Brille in die Stirn, rieb mit den Fingern die Augen, als hätte ihm Lios Anblick Müdigkeit oder Schmerzen verursacht, dann antwortete er seiner Kollegin mit unterdrückter Stimme.
    »Mhm, ja, das denke ich auch.« Und richtete seine Scheinwerferaugen wieder auf Lio. Die Gruppe umstand die Liege und betrachtete stumm das Kind. Sie fassten es nicht an, sie schauten.
    »Am ehesten ACGT «, ließ sich die Frau vernehmen, die ihre großen Brüste in einen melierten Pullover von der Farbe einer Leberwurst gezwängt hatte.
    Ich fragte, was damit gemeint sei, bekam jedoch keine Antwort, denn die Ärzte hatten jetzt damit begonnen, Lio zu betasten. Sie drehten sie um, hoben sie auf, ließen sie fallen, maßen mit dem Meterband den Kopfumfang, den Augenabstand, die Länge der Ohren, die Länge des ganzen Kindes. Sie leuchteten in die Augen, befühlten die Ohren, betasteten die flaumbewachsene Stirn, den behaarten Rücken, übersahen auch das atavistische Büschel über dem Steiß nicht und notierten alles auf ihren Klemmbrettern. Sie gluckten zusammen und beratschlagten mit gedämpfter Stimme, bedankten sich schließlich für etwas, das ich nicht gewährt hatte, und verließen geschlossen den Raum. Lio streckte Arme und Beine durch. Sie lag da, splitternackt, und drehte den Kopf, um aus dem Fenster zu sehen. Ich nahm sie in die Arme und zog sie wieder an.
    Eins von zehntausend,

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