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Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition)

Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition)

Titel: Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Rothmaier
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warfen einen orangefarbenen Schimmer auf ihr braunes Haar, sodass es rötlich glänzte. Sie strich mit der Hand über den Scheitel nach hinten und hielt es für einen Moment zusammen, ehe sie die Hand sinken ließ und wieder in der Manteltasche versenkte, wo sie sie zur Faust ballte. Ich wusste, dass sie auf ein Zeichen von mir wartete, und zog sie an den abstehenden Enden ihres Gürtels näher zu mir, schloss die Arme um sie und drückte sie an mich. Sie war ebenso groß wie ich und, obgleich sie schlank wirkte, kompakt und fest. Ihr Körper fühlte sich an, als könnte er viel aushalten, als wäre er für schwere Arbeit gemacht, Feldarbeit oder Fabrikarbeit. Josefine in der Produktionsküche einer Großbetriebskantine, wie sie mit Töpfen und Pfannen, Warmhaltewannen, Sieben und Schneidebrettern hantierte. Josefine, die den Kühen Heu in die Traufen schaufelte und Strohballen wuchtete. Josefine, die einen Dachstuhl aufrichtete, einen Baum fällte, ein Haus leer räumte und einen Sattelschlepper steuerte. Der Festigkeit ihrer Muskeln und Knochen widersprach die Leichtigkeit, mit der ich sie aus dem Gleichgewicht brachte, als ich sie an mich zog, während ihre Füße fest verwurzelt blieben, sodass sie gegen mich fiel und ich ihr unter die Achseln griff, weil ich fürchtete, sie würde in sich zusammensinken. Obwohl sie mit ihrem ganzen Gewicht an mir lehnte, war sie nicht schwer, nicht fremd, ja, nicht einmal mehr von mir getrennt, sondern wurde zu einem Teil von mir, wie zwei Puzzlestücke, die Lio mit der dick gepolsterten Hand ineinanderdrückte, zwei Hälften einer einzigen Körperexistenz, die zusammen- und ineinandersanken. Ich nahm sie mit zu mir, wo ich sie an der Hand durch das Durcheinander aus Klamotten, Spielzeug, Büchern und Papieren in mein Zimmer führte, wo ich ihr einen Schubs gab, sodass sie aufs ungemachte Bett fiel. Sie lachte leise. Ich machte das Licht nicht an, sondern legte mich neben sie, öffnete ihren Trenchcoat, schob die bunt bedruckte Bluse hoch, zog den Reißverschluss der grauen Marlenehose auf, wälzte mich auf die Frau, die ganz still dalag, begrub sie unter mir, und jetzt überwältigte mich ein Gefühl der Zusammengehörigkeit, als ob mein Körper den ihren schon lange kennte.
    Josefine blieb. Am Morgen besorgte sie Kaffee und Croissants, Orangensaft und Milch und hantierte mit ihren großen Händen in der Küche herum, ordnete schnell das dreckige Geschirr in einen sich verjüngenden Stapel, leerte die Aschenbecher, weichte die verkrusteten Pfannen ein, stellte den Müllsack auf den Balkon und zündete sogar eine Kerze an, während sie zu den Popsongs aus dem Radio pfiff. Verstohlen schlich ich mich ins Bad, wo ich lang auf dem Rand der Wanne saß, bevor ich das Wasser andrehte, um Scham und Schmach der letzten Nacht abzuwaschen.
    So genau unsere Körper auch zueinander passten, es war mir nicht gelungen, mit ihr zu schlafen. Eine Auflösung der plötzlich durchweichten Grenzen, eine Taubheit an den sich berührenden Hautflächen, sodass der Übergang zwischen mir und ihr sich in einem weichen, nebelartigen Dunst verwischte, von dem aus eine Angst in mich einsickerte und mich wie eine fremde Substanz durchdrang. Sie strömte in alle Poren und Ritzen meiner Selbstgewissheit und lähmte meine Bewegungen, raubte mir die Lust, schrumpfte jeden Liebesmut und ließ mich als leere Hülle über ihr zusammensinken, wo mich etwas schüttelte, das ich für die Angst hielt, es war ein Schluchzen, und entsetzt sprang ich aus dem Bett, rannte auf den Balkon, wo ich nackt und schwer in der kühlen Nachtluft stand. Und keuchte.
    Jetzt, am Morgen danach, wünschte ich mir, sie würde verschwinden, doch als ich sie, noch feucht vom Duschen, umarmte, war es plötzlich, als wäre sie ein insgeheimer Teil meines Körpers und wüchse mit mir zusammen, als dehnte ich mich aus in eine lang gesuchte Richtung und in eine mir schon immer vorbestimmte Form. Das bestürzte und lähmte mich, denn es vervollständigte mich auf so selbstverständliche Weise, dass ich die Frau voller Wut wegwünschte, aus Angst, es könnte zu Ende sein und ich bliebe zurück als ein Halbes, als das Fragment, das ich immer schon gewesen war und als das ich mich bislang nicht sehen noch spüren hatte müssen. Das war vorbei jetzt. Josefine strich sich die vom Schlaf zerzausten Haare hinter die Ohren, trank ihren Espresso und biss in ein Croissant. Wo Lio sei, fragte sie mit vollem Mund. Jesses. Ich rannte zum Telefon und wählte

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