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Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition)

Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition)

Titel: Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Rothmaier
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Alices Nummer. Lio gehe es gut, sie könne noch bis zum Nachmittag bleiben, wenn mir das etwas nütze. Ich würde sie dann holen kommen, sagte ich. Nur um sie wieder wegzugeben, dachte ich. Ich wollte mit Josefine leben. Als ich den Hörer auflegte, hörte ich die Eingangstür ins Schloss fallen und wusste, dass Josefine gegangen war. Ich stand am Fenster und sah ihr nach, wie sie die Straße hinabging. Der maisgelbe Mantel, die weiten grauen Hosenbeine, das wellige Haar, das in der Sonne glänzte. Sie ging mit schwingenden Hüften, und als ihr Pink Cloud von der Nachtschicht entgegenkam, drehte sie sich nach der Hure um, bemerkte mich am Fenster und lächelte mir zu. Ich lüpfte einen imaginären Hut, sie drückte einen Kuss in ihre Hand und warf ihn in meine Richtung. Ein Blinken weit hinten in meinem Kopf, ich blinzelte und rieb die Augen. Als ich wieder hinaussah, war die schöne Frau verschwunden.
    Im Sturm räumte ich die ganze Wohnung auf, putzte, ordnete den Zeichentisch, holte Lio bei Alice ab und vereinbarte einen Termin mit dem Sozialberater. Er musste mir helfen, einen Platz für das Kind zu finden. Ein Tabu fiel um, wie ein Paravent im plötzlichen Windstoß, und dahinter taten sich neue Räume der Freiheit auf. Ich wollte mit ihr leben. Ich wollte diese Frau haben. Vollständig sein. Kein loses Teil, kein Fragment mehr. Was Josefine wollte, wusste ich nicht. Auch was Lio wollte, war mir gleich. Ich brauchte Geld. Und Arbeit. Und diese Frau.
    Das Tabu war gefallen: Das Kind kommt in ein Heim. So einfach war das.

COLORING

25
    Es geht auf Mittag, und wir sind noch immer in Süddeutschland, noch nicht auf der A6 Richtung Nürnberg, noch nicht in Franken, noch lange nicht aus dem alten Teil der Bundesrepublik hinaus. Müdigkeit kriecht von hinten über den Kopf, hockt sich auf meine Stirn. Das Mädchen auf dem Beifahrersitz packt seine Tasche aus. Verstohlen beobachte ich sie. Da sind die drei Portemonnaies, nur die für die Reise. Zu Hause liegen noch einmal mindestens fünf. Ein blaues in Schlumpfgestalt, ein braun-grünes aus Leder, ein rosa-weißes, gehäkeltes mit kaputtem Feiserschluss, da ist die Sonnenbrille, der ein Glas ausgebrochen ist, die 3-D-Brille vom letzten Kinobesuch (Kung Fu Panda 3), ein abgebrochener Lippenstift aus dem Discounter, noch ein Reißverschlusstäschchen, gefüllt mit grau-weiß geäderten Steinen, ein angespitzter Holzstecken, Notizhefte bunt und einfarbig: Hello Kitty, Lilifee, zwei Disney-Zeitschriften (Auch du kannst eine Prinzessin sein), die SIM -Karte aus einem Mobiltelefon, CD s: Let it be , Ohrewürm, Drei Haselnüsse für Aschenbrödel, eine runde Schachtel aus Sperrholz, Affe, Ente und Hase aus Plüsch, fünf Socken von der Puppe Maria, ein USB -Stick, ein Fußballheft der letzten WM samt einem Stoß Panini-Bilder, eine Bürste fürs Puppenhaar, zwei kleine Blechteller, ein leerer Parfumflakon, ein kaputtes Handy, etwas zerknickt und an den Ecken abgestoßen: die Karte Braungelbrot, Krümel und ein riesiger Batzen Kaugummi. Lio betrachtet ihre Dinge und packt alles wieder in die Tasche zurück. Dann packt sie sie wieder aus. Und wieder ein. Und wieder aus. Kühe liegen auf den Wiesen, aus denen die Herbstkälte dampft, sie malmen Grasbrei und blinzeln in den gläsernen Tag. Schnell fahren auf der linken Spur, aufgehoben in der Anonymität des Kolonnenverkehrs, in der Weite der Landschaft. Verschlupft hinter einer Anhöhe, mit roten Dächern und Zwiebelturm, das Dorf, in dem die Kühe wohnen. Einkaufsmärkte, ein Gewerbegebiet, dann der Strichcode aus Schattenstreifen, als die Straße durch ein Waldstück führt. Lastwagenquader schieben sich ins Bild, schwarze Geschosse huschen heran, kleben in meinem Rückspiegel fest.
    Ein Anruf bei der Caritas. Um Unterstützung zu bekommen, müsse ich einen Antrag stellen, diesem ein Haushaltsbudget beilegen, die laufenden Kosten, die Einnahmen, alles genau auflisten und belegen. Ich kramte in meinen alten Rechnungen, in Verträgen und Honorarabrechnungen. Unser Bedarf überstieg meine Einkünfte. Natürlich. Das sah ich mit jedem Blick in meinen Geldbeutel und spürte es, wenn der Wind an meinen weit gewordenen Kleidern zerrte, wenn ich die Hosen hochzog und sie ohne Gürtel sofort wieder über die Hüftknochen rutschten, wenn ich Zigarette um Zigarette rauchte, um den Hunger zu betäuben. Vier Seiten wurde die Abrechnung lang, ich formulierte ein Bittschreiben und steckte alles in einen Umschlag und wagte den Gang zum

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