Atomgewicht 500
Wilkin zugeteilt. Der Neuling brauchte nicht lange Zeit für die Erkenntnis, daß er sich hier auf einem gefährlichen Boden befand. Es herrschte eine ziemliche Geheimnistuerei, und keiner schien dem andern recht über den Weg zu trauen. Am besten war noch das Verhältnis zwischen Melton und Wilkin. Sehr bald aber fand White heraus, daß Professor Melton sich von seinem Assistenten in weitgehendem Maße leiten ließ. Freilich machte Wilkin das sehr geschickt, und nach außen hin sah es immer so aus, als ob alle Anordnungen von Melton selber kämen.
Wie es um Dr. Wandel stand, konnte auch ein Blinder merken. Er war bei dem Professor in Ungnade gefallen und einfach kaltgestellt worden. White gewann den Eindruck, daß Melton es nur aus Scheu vor der Direktion unterließ, den Doktor kurzerhand an die Luft zu setzen, und er wunderte sich im stillen nicht wenig, daß der sich diese Behandlung schweigend gefallen ließ.
Einige Aufklärung darüber erlangte er von dem Laboratoriumsdiener McGan. Während Mr. White jetzt seinem Gönner Wilkin gegenüber ein sehr zurückhaltendes und respektvolles Benehmen zur Schau trug, genierte er sich nicht, mit dem Laboratoriumsdiener nach Schluß der Geschäftsstunden gelegentlich einen Salon aufzusuchen, und sobald er mit ihm erst einmal warm geworden war, redete der Ire sehr frei von der Leber weg.
„Der deutsche Doktor ist der einzige tüchtige Kerl in der ganzen Abteilung”, sagte er beim dritten Soda-Whisky zu White.
„Der neue Autoklav, der große Transformator, die Maschinenanlage für die Herstellung flüssiger Luft—das ist alles sein Werk. Die anderen sind nur neidisch und ihm aufsässig.”
White schüttelte den Kopf. „Aber ich verstehe Professor Melton nicht.”
„Der Professor ist ein Narr”, platzte McGan heraus und schwieg jäh, selber über seine Offenheit erschrocken. Mit Erleichterung stellte er fest, daß Mr. White seine freimutige Äußerung nicht übelnahm und sogar mit einem leichten Lächeln quittierte. Der Irishman konnte ja die Veranlassung dazu nicht wissen, die in einer gewissen Aktennotiz der Dupont Company zu suchen war. Es war eine Bemerkung, die eine starke Ähnlichkeit mit den Urteilen aufwies, die soeben McGan und vor einiger Zeit Direktor Clayton über den Professor gefällt hatten.
„Der Chef ist kein großes Kirchenlicht, das habe ich auch schon gemerkt”, setzte White die Unterhaltung fort.
„Wie findet sich denn Doktor Wandel damit ab? Bis jetzt habe ich ihn überhaupt nicht zu Gesicht bekommen.”
McGan nahm einen Zug aus seinem Glas, bevor er antwortete.
„Der deutsche Doktor hat sich hinter seine Bücher und Hefte zurückgezogen. Ich komme ja öfters in sein Zimmer, um da aufzuräumen, und habe dabei auch mal einen Blick in seine Schreiberei getan. Wissen Sie, Mr. White, ein bißchen versteht man. schließlich auch von dem Kram, obwohl ich nur ein einfacher Laboratoriumsdiener bin. Was der Doktor da macht, das hat mich doch gewundert...”
Tom White sah, daß das Glas von McGan leer war. Er sorgte für neue Füllung und wollte danach Näheres über die Arbeiten des Doktors hören. McGan befeuchtete seine Kehle mit dem frischen Trunk und erzählte weiter.
„Der Doktor beschäftigt sich mit Atomkonstruktionen. Viele Seiten in seinen Heften sind mit Atommodellen vollgezeichnet, und daneben stehen dann immer so lange mathematische Formeln, daß einem schon schwarz vor Augen wird, wenn man sie bloß ansieht.”
Tom White zuckte die Schultern.
„Das scheint mir eine ziemlich brotlose Kunst zu sein, mein lieber Mr. McGan. Damit haben sich schon viele beschäftigt, ohne was Sicheres herauszubekommen. Ich glaube, das tut der deutsche Doktor wohl nur, um auf anständige Weise die Zeit totzuschlagen.”
Der Ire steckte die Nase in sein Glas. Als er sie wieder zum Vorschein brachte, meinte er:
„Darüber kann ich nichts sagen, Mr. White, aber das eine glaube ich sicher zu wissen: Doktor Wandel hat in sein letztes Heft die Modelle von Atomen hineingemalt, die noch schwerer als das Uran-Atom sind, und er hat auch dicke Berechnungen danebengeschrieben.”
Tom White hatte Mühe, seine Erregung zu verbergen. Von unschätzbarem Wert konnte die Mitteilung, die ihm McGan in seiner Ahnungslosigkeit eben machte, für die Dupont Company werden, wenn es gelang, Näheres über diese Arbeiten des deutschen Doktors in Erfahrung zu bringen. Mit Gewalt unterdrückte er die Flut seiner eigenen Gedanken, um sich kein Wort von dem entgehen zu
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