Atomvulkan Golkonda
dir offen sagen, als Lektor hätte ich einen Autor mit so einem Manuskript nicht über die Schwelle gelassen – der Text ist undeutlich, unregelmäßig, voller grammatischer Fehler. Kurzum, Du bist ein Schweinehund, Bruderherz ...«)
Unser Lektor, der überaus freundliche Isaak Markowitsch Kassel, war offensichtlich hin- und hergerissen. Einerseits gefiel ihm das Manuskript zweifellos – da gab es Abenteuer, Heldentaten, dort wurde der Sieg der Menschheit über die träge Natur besungen – und das alles auf der soliden Grundlage unserer Sowjetwissenschaft und des dialektischen Materialismus. Andererseits war das nach den damaligen Maßstäben ganz und gar falsch. Die Helden waren grob. Sie erlaubten es sich zu fluchen. Sie stritten sich, fast hätten sie sich geprügelt. Die träge Natur war gnadenlos. Menschen wurden verrückt und starben. Die Helden – unsere Leute, nicht irgendwelche Spione, keine Volksfeinde, sondern Kosmonauten! – starben, endgültig und unwiderruflich, und das in einem sowjetischen Buch für Kinder. Und kein Happy End. Keinerlei versöhnlich stimmende Siegesbanner im Epilog ... Das war damals nicht üblich. Das war ideologisch zweifelhaft – in solchem Maße zweifelhaft, dass es fast schon nicht zu drucken war.
Übrigens war es damals nicht üblich, mit dem Autor über derlei Dinge zu sprechen, geschweige denn, es ihm zu schreiben. Das alles verstand sich von selbst. Manchmal wurde es angedeutet. Sehr selten (und nur unter guten Bekannten) wurde es geradezu gesagt. Der Autor musste selbst (anscheinend durch Versuch und Irrtum) zu den Grundlagen der richtigen Ideologie vorstoßen und begreifen, dass das Gute (das Unsere, Sowjetische, Sozialistische) immer gut und das Schlechte (Fremde, dem Untergang geweihte, Kapitalistische) immer schlecht ist. In den Gutachten stand davon kein Wort.
27. 5. 57, Arkadi:
Ich habe (endlich!) das Gutachten erhalten und mit dem Lektor gesprochen. Meine Verwunderung bei der Lektüre des Gutachtens war unbeschreiblich. Man kann ein gutes Gutachten erwarten, ein schlechtes, ein ätzendes ... Wir aber haben ein besoffenes Gutachten bekommen. Der Gutachter hat nicht die Bohne verstanden. [...] Er hatte das Manuskript fast fünf Monate lang, den dritten Teil hat er der Ordnung halber überflogen und »nach dem ersten Eindruck« etwas zusammengesponnen, dabei alles verwechselt und vieles nicht bemerkt, und überhaupt he was jumping at the conclusions. {12} Er hat uns von Kopf bis Fuß angeschissen, hat aber, strange though it may seem {13} , geschrieben, dass an dem Roman gearbeitet werden soll, dass er Ansatzpunkte bietet u. dgl.
(Wie wenig wir damals von Gutachten wussten, wie sie sein können und wie sie verfasst werden! Der Name des Gutachters war M. Loshetschko – ich habe ihn mir für immer gemerkt, denn nachdem ich einige Zeit später sein Opus gelesen hatte, schäumte ich vor hilfloser Wut und ging die Wände hoch wie die erboste Riesenspinne aus der Erzählung von Conan Doyle jr. {14} Das Gutachten selbst ist leider nicht erhalten geblieben.)
Erhalten geblieben ist zum Glück ein Brief Arkadis vom 29. 9. 57, der programmatische, für die damalige Zeit ganz ungewöhnliche Überlegungen darüber enthält, wie man schreiben soll. Zunächst zählt er SF-Werke der jüngsten Vergangenheit auf und kommt zu der Schlussfolgerung:
... alle diese Sachen (ausgenommen natürlich den »Andromedanebel« {15} ) haben mindestens zwei Schwächen gemeinsam:
a) Sie werden nicht von Schriftstellern geschrieben – sie haben keinen Stil, keine Charaktere, keine Helden, ihre Sprache ist hölzern und wird einem rasch über, die Handlung ist primitiv und die Idee immer dieselbe – billiger, abgeschmackter Patriotismus. b) Sie sind von Fachidioten verfasst, die sich in unglaublicher Weise auf enge, platte technische Details des Themas beschränken. [...] Und noch etwas – das scheinst nicht einmal Du zu beachten: Sie haben eine panische Angst (falls sie überhaupt eine Ahnung davon haben), die Genres zu vermischen. Aber das ist ja in geschickten Händen ein riesiger Vorteil und ein bemerkenswertes Mittel. Im Grunde wissen es alle: Science Fiction ohne Abenteuer ist langweilig. Einen reinen Pinkerton können nur Schuljungen lesen. Aber niemand versteht es, dieses Gesetz zu nutzen. Den ersten ernsthaften Versuch [...] haben wir im »Atomvulkan« unternommen, obwohl wir es selbst noch nicht ahnten ...
Es folgt ein Zitat aus A. Aniksts Vorwort zum Stillen Amerikaner {16} :
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