Atomvulkan Golkonda
nicht aus dem Gedächtnis der Gesellschaft gestrichen werden. Das Dümmste, was wir tun können, ist, sie möglichst schnell zu vergessen, das Mindeste – sich ihrer zu erinnern, solange ihre Saat noch keimt.
Für die vorliegende Aufgabe ist der Roman ehrenamtlich von den Menten {22} vorbereitet worden. Sie haben eine Vielzahl unterschiedlicher Textvarianten in den Rohfassungen ermittelt, ganze seinerzeit bei der Redaktion verloren gegangene Seiten gefunden, zahlreiche gestrichene Stellen wiederhergestellt. Ich glaube nicht, dass der Roman davon wesentlich besser geworden ist, aber aus der Sicht des Kenners und Liebhabers hat er eine zusätzliche Dimension gewonnen. Vielen, vielen Dank Ihnen, liebe Menten, und insbesondere Ihnen, Swetlana Bondarenko {23} , denn Sie haben den Großteil dieser titanischen Arbeit vollbracht!
ERIK SIMON
Aufbruch in die Welt des Mittags
D ER VERGESSENE E RSTLING DER S TRUGATZKIS
Sowohl Titel als auch Untertitel dieses Nachworts bedürfen einer Erläuterung. Was »Aufbruch in die Welt des Mittags« meint, sage ich weiter unten; den Untertitel mögen ein paar zusätzliche Zahlen und Fakten ins rechte Licht rücken. Der erste Science-Fiction-Roman der Strugatzkis hat eine deutlich zweigeteilte Editionsgeschichte; Boris Strugatzki hat in seinem Kommentar dazu Grundlegendes gesagt, aber die von ihm angeführten Daten zu in- und ausländischen Publikationen stammen vom Beginn der neunziger Jahre und sind in mehr als einer Hinsicht unvollständig. Zum Zeitpunkt seiner Erstveröffentlichung war Atomvulkan Golkonda durchaus ein Meilenstein, und dass er auf Dauer weniger hervorstach als etwa Jefremows Das Mädchen aus dem All , liegt vor allem an den Strugatzkis selbst, die ihren Erstling sehr schnell und sehr weit hinter sich ließen – am Ort zurückzubleiben, liegt in der Natur aller Meilensteine.
Der Erfolg des Romans kurz nach dem Erscheinen lässt sich auch an seiner Verbreitung ablesen. Seine Wirkung blieb zwar größtenteils auf die sozialistischen Länder beschränkt (hinzu kamen nur die BRD und Spanien), dort aber war sie bemerkenswert. 1961 erschien der Roman deutsch, polnisch, rumänisch, slowakisch und ungarisch, wenig später tschechisch, serbokroatisch und spanisch; bis 1969 gab es in diesen Sprachen mindestens 14 Ausgaben/Auflagen, nicht gerechnet Zeitungsabdrucke. In der UdSSR wurde von 1959 bis 1969 knapp eine halbe Million russische Exemplare gedruckt, dazu über hunderttausend in anderen Sprachen der Sowjetunion.
In den sozialistischen Ländern waren derart hohe Auflagen damals zwar durchaus nicht selbstverständlich, aber auch keine besondere Sensation, zumindest nicht für SF. Sie resultierten nicht zuletzt aus der geringen Zahl der jährlich erscheinenden SF-Titel, wodurch jedem einzelnen Buch besonders großes Gewicht zukam: Jeder, der sich für SF interessierte, versuchte jedes einschlägige Buch zu ergattern und las es natürlich auch.
In den siebziger und achtziger Jahren wurde es sehr still um den Atomvulkan , was nicht nur an der Abneigung der Strugatzkis gegenüber ihrem Erstling gelegen haben kann – weltweit erschienen nur noch vier Ausgaben (darunter in der Bundesrepublik ein weiterer Nachdruck der DDR-Ausgabe und in der Sowjetunion eine armenische Übersetzung). Danach aber begann zumindest in Russland für diesen Roman ein zweites Leben: Seitdem ihn nach langer Zeit 1993 der Verlag »Text« wieder herausbrachte, wurde von ihm bis 2004 über eine Viertelmillion Exemplare verkauft. Das ist rund halb so viel wie im ebenfalls elf Jahre umfassenden Zeitraum 1959–69, hat aber einen ganz anderen Stellenwert als zu Zeiten der sozialistischen Planwirtschaft: Jetzt sind Jahr für Jahr buchstäblich Hunderte von anderen Titeln in- und ausländischer SF und Fantasy auf dem russischen Markt, gegen die sich der Atomvulkan behauptet (nicht zuletzt andere Bücher der Strugatzkis). Der Untertitel dieses Nachworts müsste also umständlicher, aber genauer lauten: Der vorübergehend vergessene Erstling der Strugatzkis, und zwar vergessen von den Buchverlagen der Sowjetzeit. Für die russischen Leser, zumal für die zahlreichen Strugatzki-Fans, wird das Buch hinter den neueren Werken der Autoren zurückgetreten sein; vergessen hatten sie es nie. (Inzwischen hat auch schon ein polnischer Verlag den Roman wiederentdeckt: Er ist dort 2001 in einer Buchreihe »Meister der SF und Fantasy« erschienen.)
Seine Wiedergeburt verdankt Atomvulkan Golkonda denn auch nicht allein
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