Atomvulkan Golkonda
in einen ehemaligen Hauptmann verwandelt, der jetzt Technikverantwortlicher bei den Geologen war.
In den beiden Jahren, während diese Bataille im Gange war, schrieben die Strugatzkis ein gutes halbes Dutzend Erzählungen und begriffen vieles über sich selbst, über die Phantastik, über die Literatur insgesamt. Sodass dieser unglückselige, von Redakteuren verhunzte, von seinen Eltern ungeliebte Roman im Grunde zu einem Testgelände wurde, auf dem wir uns neue Vorstellungen erarbeiteten. Deshalb war das sicherlich ein ungewöhnlicher, frischer Roman, für die damalige Zeit wohl sogar ein guter – aber auch hoffnungslos vertan, didaktisch-belehrend, voll abgeschmacktem Enthusiasmus, wenn man ihn aus der Sicht späterer Zeiten betrachtet, erst recht aus heutiger Sicht. Nach einhelliger Ansicht der Autoren war er gestorben, kaum dass er das Licht der Welt erblickt hatte – schon ›Der Weg zur Amalthea‹ hat alle seine geringen Vorzüge obsolet gemacht.
Ich erlaube mir, hier zu wiederholen, was ich vor ein paar Jahren im Vorwort zu Band 12 der Werkausgabe im Verlag »Text« {18} geschrieben habe. Der Atomvulkan ist der typische Roman einer Übergangszeit – einerseits belastet von der hölzernen Lehrhaftigkeit und den gutgemeinten ideologischen Dummheiten der »Phantastik der nahen Zielstellung«, gleichzeitig aber nicht ohne Spannung, Einfälle, echte Aufrichtigkeit und den naiven Wunsch, sofort, auf der Stelle etwas hervorzubringen, das eines Wells oder wenigstens Beljajew würdig wäre.
Man muss zugeben, dass die Leser seinerzeit von dem Roman beeindruckt waren. Zum Beispiel gefiel er Iwan Antonowitsch Jefremow, dem Maître der sowjetischen SF jener Zeit, und gerüchteweise auch Marietta Sergejewna Schaginjan, die damals eine herausragende Persönlichkeit der Literatur überhaupt war. Sergej Pawlowitsch Koroljow {19} pflegte darin zu lesen und schrieb sich das Lied über ›Die Kinder des Nebels‹ heraus ... Anscheinend gefiel der Roman sogar den Funktionären im Volksbildungsministerium der RSFSR. Jedenfalls war just der Atomvulkan Golkonda das einzige Werk der Strugatzkis, das jemals einen staatlichen Preis erhalten hat, und zwar den dritten Preis im »Wettbewerb um das beste Buch über Wissenschaft und Technik für Kinder im Schulalter«. (Dotiert mit 5000 Rubel. Das war damals eine Menge Geld – vier Monatsgehälter unserer Mutter.)
Außerdem gefiel er sogar dem ausländischen Leser. Innerhalb der ersten fünf, sechs Jahre wurde er in Polen (zweimal) verlegt, in der Tschechoslowakei (zweimal), in der DDR (zweimal), in Rumänien, Westberlin, Jugoslawien und Spanien. {20} Es gab eine Zeit, da wir sogar stolz auf ihn waren, doch das ging rasch vorüber. Es genügt zu sagen, dass wir ihn in russischer Sprache seit 1969 nicht mehr herausgebracht haben. Und in die Werkausgabe bei »Text« haben wir ihn nur, wie es heißt, unter dem Druck der Öffentlichkeit aufgenommen.
Übrigens hatte unsere Abneigung vielleicht durchaus einen praktischen Hintergrund. Erstens muss man, um einen Roman für eine Nachauflage vorzubereiten, ihn ja wohl mindestens noch einmal durchlesen, und dazu hatten wir entschieden keine Lust. Zweitens erhob sich mit Macht die Frage nach der Notwendigkeit, den Text irgendwie zu modernisieren. Immerhin waren mehr als dreißig Jahre vergangen, vieles im Roman wirkt heute nicht nur wie ein komischer Anachronismus, sondern erscheint als Dummheit der Autoren, als Unwissenheit oder überhaupt Schwachsinn. Man braucht nur an den Umstand zu erinnern, dass die Handlung bei uns just in den neunziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts spielt – und praktisch nichts, aber auch rein gar nichts im Roman ähnelt dem, was den Leser heute umgibt!
Dennoch beschlossen wir, uns nicht mit der Modernisierung des Textes zu befassen. Überhaupt nicht. Keine Zeile, kein Wörtchen zu ändern. Soll dieser Roman in der Science Fiction als hässliches Denkmal für eine ganze Epoche bestehen bleiben, eine Epoche mit all ihren Attributen – mit ihrem fiebrigen Enthusiasmus und ihrer begeisterten Dummheit, mit ihrem aufrichtigen Verlangen nach dem Guten bei totalem Unverständnis, was denn das Gute ist, mit ihrer blindwütigen Bereitschaft zur Selbstaufopferung, mit ihrer Grausamkeit, ideologischen Blindheit und dem klassischen Orwell’schen Zwiedenken. Denn das war eine Zeit des bösartigen Guten, der lebensbejahenden Morde, der »trompetenden Stummheit und wortreichen Sinnlosigkeit« {21} . Und diese Zeit soll
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