Attack Unsichtbarer Feind: Ein neuer Fall für Special Agent Pendergast (German Edition)
umgeschaut und gesehen hatte, dass die Bibliothek leer war – bis auf den Skiläufer-Bibliothekar, der hinter seinem Auskunftstresen saß und Jack Kerouac las –, fand sie es in Ordnung, das Gespräch anzunehmen.
Doch es war nicht der Polizeichef, sondern seine Sekretärin. Noch ehe Corrie die üblichen Höflichkeitsfloskeln beenden konnte, sagte die Dame mit atemloser, belegter Stimme: »Es tut dem Polizeichef sehr, sehr leid, aber wie sich herausgestellt hat, kann er Ihnen die Genehmigung zur Untersuchung der sterblichen Überreste doch nicht erteilen.«
Corrie bekam einen trockenen Mund. »Wie bitte?«, krächzte sie. »Warten Sie –«
»Er ist den ganzen Tag in Besprechungen, deshalb hat er mich gebeten, Sie anzurufen. Schauen Sie –«
»Aber er hat doch gesagt –«
»Es ist einfach nicht möglich. Es tut ihm sehr leid, dass er Ihnen nicht helfen kann.«
»Aber
warum
denn?«, schaffte sie es einzuwerfen.
»Die Details sind mir nicht bekannt, es tut mir leid –«
»Kann ich mit ihm sprechen?«
»Er befindet sich den ganzen Tag und, ähm, den Rest der Woche in Besprechungen.«
»Den Rest der
Woche?
Aber er hat mir doch erst gestern mitgeteilt –«
»Es tut mir leid, ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich in seine Gründe nicht eingeweiht bin.«
»Schauen Sie«, Corrie versuchte ziemlich erfolglos, ihren Ton zu beherrschen, »erst gestern hat er mir zugesichert, es werde keinerlei Schwierigkeiten geben. Dass er die Sache genehmigt. Und jetzt ändert er seine Meinung, weigert sich, seine Gründe zu nennen, und … bürdet es Ihnen auf, mich vor die Tür zu setzen! Das ist nicht fair!«
Sie bekam ein letztes, frostiges
Ich wünschte, ich könnte Ihnen helfen, aber die Entscheidung ist unumstößlich
zur Antwort, gefolgt von einem endgültigen Klicken. Dann war die Leitung unterbrochen.
Corrie setzte sich, schlug mit der flachen Hand auf den Tisch und rief: »Verdammt, verdammt,
verdammt!
«
Dann blickte sie auf. Ted schaute mit großen Augen zu ihr herüber.
»O nein«, sagte sie und legte die Hand vor den Mund. »Ich habe die ganze Bibliothek gestört.«
Er hob lächelnd die Hand. »Wie Sie sehen können, ist im Augenblick niemand hier.« Er zögerte, dann trat er hinter seinem Auskunftstresen hervor und kam herüber. Schließlich fügte er im Flüsterton hinzu: »Ich glaube, ich verstehe, was hier vor sich geht.«
»Wirklich? Dann wäre es schön, wenn Sie es mir erklären könnten.«
Obwohl niemand in der Nähe war, senkte er die Stimme noch weiter:
»Mrs. Kermode.«
»Wer?«
»Mrs. Betty Brown Kermode hat den Polizeichef geimpft.«
»Wer ist Betty Brown Kermode?«
Er verdrehte die Augen und blickte sich verstohlen um. »Wo anfangen? Zunächst einmal: Ihr gehört Town & Mount Real Estate,
die
Immobilienfirma am Ort. Sie ist die Vorsitzende der Heights Neighborhood Association und war die treibende Kraft hinter der Verlegung des Friedhofs. Sie gehört im Grunde zu jenen selbstgerechten Menschen, die alles und jeden bestimmen und keine abweichenden Meinungen dulden. Fakt ist, sie ist die mächtigste Person in der Stadt.«
»Eine solche Frau hat Einfluss auf den Chef der Polizei?«
Ted lachte. »Sie haben Morris doch kennengelernt. Netter Typ. Jeder hat Einfluss auf ihn. Aber besonders sie. Ich sage Ihnen, sie ist furchteinflößend – noch mehr als ihr Schwager, Montebello. Ich bin mir sicher, dass Morris vorhatte, Ihnen die Genehmigung zu erteilen, bis er Kermode angerufen hat.«
»Aber warum will sie mich davon abbringen? Was würden meine Nachforschungen denn schaden?«
»Genau das«, sagte Ted, »müssen Sie selbst herausfinden.«
7
A m nächsten Morgen um neun Uhr lenkte Corrie ihren klapprigen Mietwagen vor das Tor der exklusiven Wohnanlage The Heights. Dort brauchte der Wachmann – der auch nicht entfernt so freundlich war wie beim letzten Mal, als sie zusammen mit dem Polizeichef das Tor passierte – unverschämt lange, um ihre Identität festzustellen und einen Anruf zu machen, um ihren Termin zu bestätigen, während er die ganze Zeit einen abschätzigen Blick auf ihr Auto warf.
Corrie achtete darauf, höflich zu bleiben, und schließlich fuhr sie auf der Zufahrt in Richtung Clubhaus, in dem gleichzeitig die Büroräume der Immobilienfirma untergebracht waren. Bald kam auf der Talsohle eine Gruppe von Gebäuden in den Blick: malerisch, schneebedeckt und voller Eiszapfen, die Natursteinschornsteine rauchten. Dahinter, hoch oben auf der gegenüberliegenden
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