Attentage
nicht mehr suchen. Doch in gewisser Weise war bei diesen Attentaten auch der Täter ein Opfer. So blieb die vorrangige Aufgabe ihrer Abteilung, den Organisator und Auftraggeber zu identifizieren. Der brüstete sich meist ohnehin in öffentlichen Bekennerbriefen oder Videos mit den Attentaten.
Purront seufzt. Die Amerikaner warfen nach solchen Bekenntnissen einige Bomben auf vermeintliche Terrornester und töteten dabei weitere Zivilisten. Als Vergeltungsschlag jagten sich wieder neue Attentäter im Westen in die Luft. Es war ein Teufelskreis. Ihr Job war es eben dann, bis ins letzte Detail zu klären, von wem und wie die Tat in ihrem Land geplant und durchgeführt worden war. Diese Erkenntnissewurden dann mit den Kollegen aus anderen Ländern ausgetauscht, um daraus etwas zu lernen und vielleicht irgendwann eine Wahnsinnstat zu verhindern. Das war ihnen bis jetzt noch nicht gelungen. Und es sah eigentlich nicht so aus, als ob sie jemals erfolgreich sein würden. Purront seufzt wiederum unbewusst, aber hörbar.
„Jetzt stell dich nicht so an wegen einem Schluck Kaffee“, raunzt Leconte. Bevor Purront etwas erwidern kann, klingelt das Telefon auf dem schäbigen Schreibtisch in der Mitte des Raums, der an diesem Morgen als Ablage für Pappbecher, angebrochene Kekspackungen und Croissantreste zweckentfremdet wird. Es ist ein schriller Ton, der Purront an die Zeit erinnert, als er in der Nachtschicht einer Schuhfabrik das Geld für seine Weiterbildung verdiente und das Signal um 6 Uhr morgens die ersehnte Ablöse ankündigte.
Keiner macht Anstalten, abzuheben. Purront kann sich nicht mehr daran erinnern, wann dieser Apparat zum letzten Mal geläutet hat. Jeder der Mitarbeiter ist rund um die Uhr an seinem Mobiltelefon erreichbar und die Festnetznummer der Abteilung ist nur wenigen bekannt. Purront antwortet auf die Frage von Freunden nach seiner Arbeit gerne: „Mein Job ist so geheim, dass ich nicht einmal selbst weiß, was ich tue.“ Nicole hat das oft gehört, aber in Gesellschaft lacht sie noch immer pflichtbewusst, als ob er den Witz zum ersten Mal erzählen würde. Purront liebt sie auch dafür abgöttisch. Ja, und geheim ist ihre Abteilung tatsächlich. Nicht einmal der Aufzug hält bei ihnen im vierten Stockwerk auf Knopfdruck. Dafür benötigt man einen Schlüssel, mit dem man die Sperre im Lift aufhebt.
Purront starrt unverwandt auf die Haarrisse in der Wand und plötzlich fallen ihm die Falten seiner Schwiegermutterein. Am Anfang seiner Ehe saß sie morgens immer ohne Make-up mit ihm und Nicole am Frühstückstisch. Zwei Jahre war das so gegangen, bis Nicole und er sich endlich eine eigene Wohnung in einem der besseren Pariser Stadtviertel leisten konnten. Er hatte die Ungeschminktheit seiner Schwiegermutter immer als Mangel an Respekt ihm gegenüber empfunden. So wie er dieses schäbige Büro mit den billigen furnierten Schreibtischen auf abgewetzten Stahlfüßen als Mangel an Respekt gegenüber ihrer Abteilung empfindet. Die Police spéciale ist immerhin jene Einheit, die in Frankreich für die Terrorbekämpfung zuständig ist.
Nach 9/11 wurde auch der Politik schlagartig ihre Wichtigkeit bewusst und das Budget wurde über Nacht verdoppelt. Allerdings wirkte sich das für die Abteilung nur insofern aus, dass sie nun in dem vorher schon zu engen Büro zu sechst statt zu viert arbeiten müssen. Sie haben zumindest jetzt etwas mehr Spielraum bei den Spesen und können Informanten besser bezahlen. Wobei deren Wissen so gut wie nie das investierte Geld wert ist.
Das Telefon hat zu klingeln aufgehört. Leconte hatte sich doch entschieden, abzuheben. „Yes, we know it already.“ Er klingt frustriert. Purront ist sich nicht im Klaren darüber, ob seine Verärgerung mit dem Inhalt des Telefonats oder mit der Tatsache zu tun hat, dass der Commissaire englisch sprechen muss. Auf jeden Fall scheint sein Gesprächspartner wichtig zu sein, denn normalerweise erklärt Leconte in solchen Fällen gleich zu Beginn forsch, dass seiner Meinung nach nur ungebildete Menschen kein Französisch sprechen. Diese Belehrung ist meistens ein Wortschwallmix aus Französisch und Englisch, wobei der Commissaire immer dann ein französisches Wort verwendet, wenn ihm das englische Vokabelnicht sofort einfällt. Doch diesmal gibt er sich Mühe, höflich zu bleiben. Purronts Kollegen geben vor, auf die Computerbildschirme zu starren, während sie in Wahrheit versuchen, jedes Wort zu verstehen, um den Inhalt des Gesprächs deuten zu
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