Attentage
Hals verrenken müssen, um nicht mit dem Hinterkopf, auf dem über der Platzwunde ein riesiges Pflaster prangt, auf der Lehne aufzuliegen.
Bei der Abfahrt vom Gare du Nord in Paris hatte er versucht, nicht auf den Marmorboden zu sehen, doch das Bild des toten Kindes und die Erinnerungen an die verstümmelten Leichen waren mit erschreckender Deutlichkeit aufgetaucht. Als er sich gezwungen hatte, nicht daran zu denken, waren die Bilder in seinem Kopf sogar bedrohend plastisch geworden. Auch den seltsamen Geruch nach verschmorten Kabeln, der damals nach der Explosion die Bahnhofshalle dominiert hatte, hatte ihm sein Gehirn als Realität vorgegaukelt.
Es beunruhigt ihn, dass er diese psychischen Reaktionen nicht unter Kontrolle bringen kann. Es sind erst neun Wochen seit dem Attentat vergangen, aber sie kommen ihm wie ein halbes Leben vor. Leconte merkt, wie sehr ihn die Ereignisse mitgenommen haben.
Zweieinhalb Stunden nach der Abfahrt aus Paris steigt er bereits zur Londoner Underground hinunter. Während der Fahrt in der U-Bahn betrachtet er sein Spiegelbild in den Scheiben. Er hat sich zu Hause noch gründlich rasiert, sich für seine beste Hose entschieden und einlangärmeliges Hemd angezogen, um den Verband am Ellbogen zu verdecken.
Kurz hatte er überlegt, sich bei Heather anzukündigen. Aber er wäre auch zu ihr gefahren, wenn sie wortlos den Hörer aufgelegt oder ihn brüsk abgewiesen hätte. Es erscheint ihm höflicher, unangemeldet zu erscheinen, als nach einer ausdrücklichen Ablehnung seines Besuchs. Seine Reisetasche hat er in einem Schließfach auf dem Bahnhof gelassen.
Als er den Apartmentblock erreicht, beschließt er zuerst, noch eine Runde zu gehen. Was ist, wenn sie ihn nicht einlässt? Oder ihm die Tür erst gar nicht öffnet? Leconte fällt ein, dass er nicht einmal weiß, ob Heather nach ihrer Suspendierung schon einen neuen Job hat.
Nach der Runde um den Häuserblock fehlt ihm immer noch der Mut, bei ihr anzuklingeln. Er setzt sich auf eine Bank auf dem Gehsteig vor den Apartments. Ein älterer Herr mit Stock geht langsam auf der gegenüberliegenden Straßenseite vorbei. Leconte ertappt sich dabei, dass er sich die Frage stellt, ob jemand auf dessen Heimkommen wartet.
Heather muss ihn schon einige Minuten beobachtet haben. Sie trägt zwei schwere Einkaufstaschen und kommt auf ihn zu. Wortlos bleibt sie vor ihm stehen. Die beiden Taschen stellt sie auf den Boden. Leconte steht auf und hebt sie hoch. „Ich helfe dir“, sagt er und ignoriert den stechenden Schmerz in seinem linken Ellbogen.
„Ich habe nicht um Hilfe gebeten“, sagt sie, macht aber keine Anstalten, sie ihm wieder abzunehmen.
„Ich weiß“, sagt Leconte und geht in Richtung der Apartments, „das ist nicht deine Art.“
Sie überholt ihn und sperrt die Türen auf. Im Flur ihrer Wohnung stellt Leconte die Taschen ab. Sie mustert ihn nachdenklich.
„Was hast du da für eine Verletzung am Hinterkopf?“
„Das ist eine lange Geschichte. Sie dauert mindestens zwei Tassen Tee.“
Heather überlegt. Dann öffnet sie die Tür zum Wohnzimmer.
„Du kennst dich hier ja bereits gut aus.“
„Ja“, sagt Leconte. „aber noch nicht gut genug.“
Als er hineingeht, läutet sein Handy. Er sieht Eriks Nummer auf dem Display. Leconte schaltet einfach aus.
KORANSTELLEN, DIE IN DIESEM BUCH ZITIERT WERDEN
Allah weiß, aber ihr wisst nicht. Sure 2/216
Und wir gaben Isa, dem Sohn der Maria, die deutlichen Zeichen und stärkten ihn mit dem heiligen Geist, und so Allah wollte, so hätten die Späteren nicht gestritten, nachdem zu ihnen die deutlichen Zeichen kamen … Sure 2/87
Haltet jene, die für die Sache Allahs getötet werden, nicht für tot – sondern für lebendig bei ihrem Herrn. Sure 3/169
Wer auf Allahs Weg kämpft, dabei getötet wird oder siegt, dem werden wir mächtigen Lohn geben. Sure 4/74
Kämpft gegen die Freunde Satans. Wahrlich: Die List des Satans ist schwach. Sure 4/76
Wer seine Religion wechselt, den tötet. Wer von euch abfällt, der soll sterben. Sure 4/89
… es erhöhte ihn Allah zu sich und Allah ist mächtig und weise. Und wahrlich vom Volke der Schrift wird jeder an ihn glauben vor seinem Tode und am Tag der Auferstehung wird er wider sie Zeuge sein. Sure 4/159
Allahs Barmherzigkeit kennt keine Grenzen. Sure 7/156
Und wisset, dass Allah streng im Strafen ist. Sure 8/13
Und nicht ihr erschlugt sie, sondern Allah erschlug sie; und nicht warfst du, als du warfst, sondern Allah warf. Und prüfen
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