Attentage
können.
„Why?“ Leconte kommt nicht richtig zu Wort, nickt öfters, verdreht die Augen und lockert mit einer Hand seine elegante graue Krawatte, die weder zum Büro noch zu seinem durchschwitzten beigen Hemd passt. Plötzlich sieht er überrascht aus. Sein Blick wird beim Zuhören konzentriert und sein Körper strafft sich. Wie ein lauerndes Raubtier, das zum entscheidenden Sprung auf die Beute ansetzt, denkt Purront und merkt, dass auch er wieder munter wird. Leconte wirkt mit seinen 58 Jahren ansonsten schon etwas behäbig. Die Liebe zur französischen Küche macht sich durch ein kleines Wohlstandsbäuchlein bemerkbar und die ausgeprägte Stirnglatze lässt sein Gesicht noch breiter wirken. Durch die Knollennase wirkt der Commissaire fast bäuerlich und vermittelt den falschen Eindruck, ein gemütlicher und leichtgläubiger Mensch zu sein.
„See all of you tomorrow“, verabschiedet sich Leconte, bevor er auflegt, und er klingt sogar freundlich. „Du kannst deinen Kaffee in der Maschine nach Amsterdam trinken“, sagt er zu Purront und gibt einem Kollegen die Anweisung, für sie beide sofort die nächsten Flüge nach Amsterdam und zwei Einzelzimmer für die nächsten vier Nächte in einem Hotel im Zentrum zu buchen. Purront ist völlig schleierhaft, wozu sie in Holland gebraucht werden. „Der Attentäter vom Jüdischen Museum ist nicht tot“, erklärt ihm Leconte auf seinen fragenden Blick hin in jovialem Ton, „sie konnten ihn überwältigen.“
Purront ist irritiert: „Er hat die Explosion überlebt?“
Leconte nickt. „Ein Sicherheitsbeamter hat ihm die Bombe bei einem Handgemenge fast entrissen, aber er konnte sie noch in den Innenhof werfen, wo ein Angestellter gerade einem älteren Paar den Weg zum Museumsshop erklärt hat.“
„Also war sein Tod eine Falschmeldung?“
„Eine lancierte Falschmeldung. Der Verrückte ist angeblich ein Algerier mit französischem Pass und wurde offiziell für tot erklärt!“
Purront reagiert nicht gleich, sondern scheint angestrengt nachzudenken. Tatsächlich stört ihn vor allem, dass Leconte den Attentäter nicht als Franzose mit algerischem Migrationshintergrund bezeichnet. Das wäre die politisch korrekte Formulierung. Irgendwann wird er Leconte darauf hinweisen. Stattdessen steckt er ein Stück von seinem Croissant au Beurre in den Mund. Er klingt etwas undeutlich. „Und darum müssen wir nach Amsterdam?“
Leconte fixiert ihn, denn er versteht die Frage hinter der Frage.
„Nein, nicht weil er Franzose ist. Die FISA zieht all ihre Führungskräfte aus Europa zu einem Sondertreffen zusammen.“ Man merkt Leconte an, dass er versucht, geduldig zu sein, aber nicht der Meinung ist, dass es da viel zu diskutieren gibt. FISA ist die Abkürzung für das Überwachungsgesetz der US-Geheimdienste, den Foreign Intelligence Surveillance Act aus dem Jahr 1978.
Die Gründer der Arbeitsgruppe, die den Akt zu Beginn gemeinsam erarbeitet hatten, initiierten nach 9/11 eine Zusammenarbeit der europäischen Geheimdienste im Kampf gegen den Terrorismus. Diese Gruppe war und wurde nie eine Organisation und existiert daher offiziell nicht.
Man sprach aber intern bald von den FISA-Leuten und diese ließen diese Bezeichnung kommentarlos gelten. In allen europäischen Hauptstädten gab es seit Anfang 2002 Spezialeinheiten innerhalb der Geheimdienste, die instruiert waren, den Anordnungen ohne jegliche Diskussion Folge zu leisten. Ihren Vorsitzenden wählten sie bei ihrer jährlichen Sitzung neu, wobei der jeweilige Leiter in der darauf folgenden Amtsperiode automatisch der Stellvertreter des Neugewählten war.
Purront ist diese Gruppe etwas unheimlich. Aber er ist fast mit Leconte versöhnt, weil dieser den Attentäter nun doch als einen Franzosen bezeichnet hat. Aber diese überstürzte Reise ergibt für ihn noch immer keinen Sinn.
„Und wer kümmert sich um die Ermittlungen hier in Paris? Wie kann denn unsere Hilfe in Amsterdam schon großartig aussehen? Brauchen sie uns als kostenlose Übersetzer beim Verhör?“
Purronts Ton ist so provokant wie seine Frage. Er erkennt, dass er eigentlich vor allem so wütend ist, weil schon wieder rücksichtslos über sein Privatleben verfügt wird. Nicole hatte sich so sehr auf das Wochenende mit ihm gefreut. Dem alten Leconte ist das natürlich völlig egal. Er lebte seit seiner Scheidung vor sechs Jahren mit einem alten grauen Kater – der genauso mürrisch und ungenießbar war wie er – in einer stickigen Mansardenwohnung im
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