Attila - Die Welt in Flammen
weitere Ärzte aus Athen und Alexandria hatte man ebenfalls herbeigeholt, die ob der
pneuma
der Kaiserin in einen heftigen Streit gerieten. Unterdessen kam die ganze Zeit über der wolkige Horizont näher.
«Ärzte!», spottete Faustriemen. «Bleibt mir weg mit euren verdammten Ärzten. Alles, was die tun, ist übersetzen. Die übersetzen das, was man ihnen sagt, ins Griechische, und schleudern es einem dann wieder ins Gesicht. Was ist denn dieses
pneuma
?»
«Atem», sagte Arapovian, während er über Faustriemens ochsenartige Schulter nach Norden blickte.
«Da haben wir’s doch schon. Man geht zu einem Arzt und sagt ihm, man hat Halsweh, das nicht wegzukriegen ist, und er lässt einen die Zunge rausstrecken, damit er einem in die Kehle schauen kann, und dann verkündet er: ‹Oh, verstehe, guter Mann, Ihr habt eine Laryngitis.› Was nichts anderes als ‹entzündete Kehle› bedeutet. Man denkt bei sich, das habe ich ihm doch gerade gesagt, du Esel! Doch er sagt: ‹Für diese unschätzbare Diagnose berechne ich Euch einen goldenen
solidus
. Der Nächste bitte!›»
Aëtius trat zu ihnen. «Was seht ihr?»
«Eine Staubwolke», sagte Arapovian, «in nordnordwestlicher Richtung. Und sie wird größer.»
Die Wolfskrieger brummten, es sei nichts zu sehen, legten ihre Arme mit den schweren Kupferbändern auf die Mauer und starrten in die Dämmerung hinaus. Aëtius konnte ebenfalls nichts erkennen, doch der Mann aus dem Osten hatte Adleraugen. Wenn die Hunnen aus dieser Höhe, aus etwa dreißig Metern, am Horizont zu sehen waren, dann waren sie, wie er dank eines Schemas, das ihm sein alter Lehrer beigebracht hatte, rasch errechnete, zwölf Meilen entfernt, vielleicht etwas mehr. Eine langsam dahinreitende Schar würde in drei Stunden hier sein, doch die Hunnen ritten niemals langsam.
Es war Zeit, den Ort zu verlassen, im Schutze der Dunkelheit.
14. DIE KAISERIN
I m Dämmerschein der Klosterkapelle intonierte ein Priester die uralte Litanei, während vor ihm eine weiß gekleidete, im Einklang mit der Kirchenlehre verschleierte Frau kniete; rechts und links von ihr standen zwei ebenfalls verschleierte Dienerinnen. Ärgerlich sah der Priester auf.
«Ist das Sakrament schon verabreicht worden?», fragte Aëtius.
«Wer seid Ihr, und was erlaubt Ihr Euch, die Heilige Messe zu unterbrechen!»
«Aha, ich sehe, dass das Abendmahl bereits gefeiert wurde. Hört auf mit Eurem Sermon, Vater. Der Gottesdienst ist beendet. Es ist Zeit zum Aufbruch für die Kaiserin.»
Sofort stand eine der Dienerinnen vor ihm. «Es wird bereits Nacht, und die Kaiserin ist außerstande zu reisen.»
Aëtius runzelte die Stirn. Zwei weitere Dienerinnen halfen ihr auf. Sie wandte sich um. Durch die dünne Gaze sah er eine Frau, die alt aussah, aber einmal wunderschön gewesen sein musste, ihre Augen waren nach wie vor groß und leuchtend. In Wahrheit war sie erst Mitte vierzig. Sie blickte ihn an und drückte eines ihrer Mädchen an sich.
Aëtius sank der Mut. «Bringt sie ins Spital», befahl er.
Es gab ein kurzes Zögern, dann verneigte sich die Kaiserin und ließ sich von ihren Dienerinnen hinausgeleiten.
* * *
Athenais hatte Fieber, sie war sehr bleich, ihre Stirn schweißbedeckt. Gamaliel ließ frische Weidenblätter sammeln. Eine Infusion würde helfen, sagte er, brauche aber Zeit, und sie solle heißes Wasser trinken. Seine Ratschläge schockierten die Umstehenden. Hitze sollte als Mittel gegen innere Hitze angewandt werden? Die Kaiserin sollte gut zugedeckt werden und heiß zu trinken bekommen? Doch sie kamen seinen Wünschen nach, unter der strengen Aufsicht von General Aëtius, der in einer besonderen Beziehung zu diesem seltsamen bärtigen Alten zu stehen schien.
Der General stand an der Tür und wollte sich gerade zum Gehen anschicken, als die Kaiserin ihn zu sich rief. Einen Moment lang schien sie kein Fieber mehr zu haben. Traurig lächelte sie ihn an.
«Was hat Euch umgetrieben?» Es klang, als bezöge sich die Frage auf sein ganzes Leben.
Er sah zu Boden. «Ich wurde anderswo gebraucht.»
«Werdet Ihr das noch immer?»
Er blickte verwirrt drein. «Wir müssen gehen, solange wir noch können. Uns bleibt nicht viel Zeit.»
«Geht nicht fort», sagte sie, sie hatte ihn wohl nicht richtig verstanden. Sie streckte ihre zitternde Hand aus. «Bleibt.»
Eine Pflegerin zündete eine Kerze neben ihrem Bett an. Nach kurzem Zögern ließ sich Aëtius einen Stuhl ans Bett stellen.
* * *
In der Nacht stieg das Fieber
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