Attila - Die Welt in Flammen
Hindernis: die Mauern selbst, unvergleichlich, höher als jede andere Mauer auf der Welt. Sechzehn Fuß dick, fast vierzig hoch und mit noch einmal sechsundneunzig Wehrtürmen bestückt. Nicht einmal die Mauern Babylons zu dessen Hochzeiten konnten sich mit den Mauern Konstantinopels messen – und das waren immerhin Mauern, auf denen oben, wie Herodot überliefert hat, die jungen Männer aus dem alten Assyrien zur Abendzeit mit Vierspännern Rennen veranstalteten. Vor tausend Jahren.
Aëtius beobachtete die Gesichter der Prinzen, die vor jugendlicher Begeisterung und Kampfgeist glühten, und rief ihnen in Erinnerung, dass die Hunnen mittlerweile Etliches über die Belagerung und Zerstörung von Städten gelernt hatten. Es drohten außerdem Krankheiten. Wasser und Nahrung würden knapp werden, zumal die Bevölkerung durch den Zuzug von Flüchtlingen noch weiter angeschwollen war. Sie durften keine Unterstützung von außen erwarten, keine Truppen, die ihnen zu Hilfe eilten. Sollte die Stadt freilich Attila in die Hände fallen, war keine Gnade zu erwarten. Es würde zu jenem grausamen Gemetzel kommen, das er auch sonst immer verübt hatte.
«Außerdem haben wir keine nennenswerte Verteidigung», fügte er hinzu.
«Wir haben die Artillerie, und dann sind da ja die Wolfskrieger.»
«Vierundvierzig Wolfskrieger, richtig. Zwei Hundertschaften Kaiserliche Wachen, ein paar Hilfstruppen. Attilas Armee dürfte hunderttausend Männer zählen, und er hat gerade ganz Thrakien und Moesia durchquert und möglicherweise noch mehr Männer angeworben. Und er konnte ausgiebig plündern. Wir haben es nicht geschafft, seinen Nachschub auch nur an einer Stelle zu unterbrechen. Weder seine Männer noch seine Pferde werden hungern müssen, noch nicht einmal im Winter. Wir dagegen haben nur das, was innerhalb dieser Mauern lagert. Und es bleiben uns vermutlich nur wenige Stunden, um uns auf den Angriff vorzubereiten.»
Die Prinzen machten jetzt doch ein ganz anderes Gesicht, aber Aëtius hatte deswegen kein schlechtes Gewissen. Die Wahrheit hatte Vorrang.
Als gälte es, die düstere Prognose zu bestätigen, erschien ein Zenturio vor ihnen und bat um Aufmerksamkeit. Es war Tatullus. Er war lediglich der dritte Zenturio in der gesamten Stadt, Aëtius hatte ihn jedoch zu seinem Stellvertreter ernannt.
«Herr, lasst Euch über unsere Verteidigungsstärke Bericht erstatten.»
«Wir hören.»
«Herr! Zwei Hundertschaften der Palatinischen Garde sind neben dem Palast stationiert und haben den Befehl, dort auszuharren. Es sind hundertsechzig Mann. Vier Überlebende aus der VII . Legion, wozu auch ich gehöre, Herr. Zwei zusätzliche
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mit isaurischen Söldnern, deren Gefolgschaft fraglich ist, zahlenmäßig stark dezimiert, Überlebende aus Thessalonika und Trajanopolis. Insgesamt etwa achtzig Leute. Derzeit beim Forum des Arcadius interniert. Die Stadtwache in voller Stärke, einige hundert Männer, untrainiert, mit Stöcken bewaffnet. Sie sind in der Lage, eine Menge in Schach zu halten, vermöchten aber nicht einmal meine Großmutter in die Flucht zu schlagen, Herr. Geschützmeister, ohne Waffen, ohne Rüstungen, im Nahkampf vollkommen unausgebildet, immerhin aber vollzählig. Fünfundsechzig der sechsundneunzig Türme sind mit einem Geschütz bewehrt. Keine ausgewiesenen Bogenschützen. Keine …»
«Keine Bogenschützen? In der gesamten Stadt nicht?»
Tatullus verriet keine Gemütsregung. «Nein, Herr, kein einziger.»
Aëtius ballte die Fäuste. «Nun gut. Fahrt fort!»
«Das ist alles, Herr. Keine Kavallerie. Abgesehen von der Zivilbevölkerung, etwa einer Million Menschen, dazu vierzig- oder fünfzigtausend Flüchtlinge.»
«Und vierundvierzig Wolfskrieger der Goten», warf Theoderich ein. «Bogenschützen, Speerträger, Schwertkämpfer.»
Aëtius grübelte. Ungefähr dreihundert einsatzbereite Männer also. «Quartiert alle Flüchtlinge bei Familien und dergleichen ein, niemand soll im Freien, auf der Straße lagern, hört Ihr? Achtet strikt darauf, dass niemand auf den Straßen ist. Es gibt keine Getreidezuteilungen, sofern ich es nicht befehle. Lasst die Stadtwache darauf achten. Befehligt die Hilfssoldaten an die Mauern. Und Eure drei Männer zusammen mit …», er wandte sich zu Theoderich um, «… zusammen mit den Wolfskriegern.»
Einhundertunddreißig Männer aus der Wildnis Kappadokiens, einschließlich achtzig Söldnern aus den Bergen. Der Herr sei uns gnädig! Die Kaiserliche Wache musste von ihrem
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