Attila - Die Welt in Flammen
wahrscheinlich zu hören bekommen», sagte Aëtius, «dass er den Kaiserlichen Palast in Schutt und Asche gelegt hat.»
Thorismund grinste.
* * *
Am dritten Morgen nach dem Erdbeben ging die Sonne auf, und der herbstliche Dunst über der Landschaft löste sich allmählich auf. Nur an einer Stelle des Horizonts, im Westen, nicht. Was dort zu sehen war, war kein Dunst, das war Staub.
Sie näherten sich, zu Tausenden, in unvorstellbarer Zahl.
Zu seinem Entsetzen sah Aëtius, wie die Kaiserin selbst mit einigen ihrer Dienerinnen oben auf den Zinnen entlangspazierte und zu den Soldaten sprach. Vermutlich wollte sie ihnen viel Glück wünschen und sie Gottes Segen anempfehlen. Doch das war nicht der rechte Augenblick für derartige Dinge. Dies war die Zeit für heißes Feuer und kalten Stahl. Aëtius ging auf sie zu.
«Euer Majestät, ich muss darauf bestehen, dass Ihr augenblicklich in den Palast zurückkehrt. Dies ist kein Ort für Euch. Außerdem», fügte er hinzu, und seine Stimme klang nun rauer, «kommt Ihr meinen Männern in die Quere!»
Sie sah ihn direkt an, ohne ein Anzeichen von Furcht. Freilich hatte sie die Hunnen auch noch nie kämpfen sehen. Furcht würde sie bald genug haben, wenn erst einmal die Hölle losgebrochen war.
«General», sagte sie, «Ihr gebietet über Euer kleines Reich wie ein orientalischer Despot.»
Selbst jetzt noch spielte sie mit ihm. Er spürte, wie der Ärger in ihm aufstieg. Für Spiele war jetzt keine Zeit. Sie hatte keine Ahnung, wie schlimm es um sie alle stand, sie wusste gar nichts. Er stieß einen Fluch aus und sagte, wenn sie nicht augenblicklich von der Mauer hier oben verschwände, würde er sie eigenhändig hinunterwerfen. Endlich reagierte sie, die Augen vor Erstaunen, ja Abscheu weit aufgerissen, und Sekunden später hastete sie mitsamt ihrem Gefolge die Stufen hinab und verschwand in der Stadt.
Er brüllte seinen Truppen zu: «Verbarrikadiert alle Tore! Ihr habt fünf Minuten!»
«Herr», sagte Tatullus und deutete auf die Ebene. «Es kommen noch immer Flüchtlinge in die Stadt. Seht nur.»
Aëtius blickte in die Ferne. Vor dem rotbraunen Streifen am Horizont, der Horde der Hunnen, zeichneten sich ein paar Dutzend versprengte Menschen ab, die über die Ebene hasteten. Hinter ihnen erkannten sie von den Zinnen herab eine Wolke in der Farbe alten Blutes und dahinter das, was ihnen das Blut in den Adern gefrieren ließ: Belagerungstürme.
* * *
Sie mussten alle Zugänge verriegeln. Eine schreckliche Schlacht erwartete sie, die sie unbedingt gewinnen mussten. Ganz Asien duckte sich hilflos hinter ihnen, war ihnen anheimgegeben. Doch sie konnten unmöglich gewinnen. Nicht allein. Aëtius wusste es, Tatullus wusste es, alle Männer wussten es. Das Schicksal der halben Welt lag in ihren Händen, und sie mussten zwangsläufig scheitern. Aber sie würden kämpfen bis zum Letzten.
Und doch waren hier auch Flüchtlinge aus den umliegenden Dörfern, einfache Bauern, die auf die Mauern von Byzanz zueilten, um sich vor dem herannahenden Sturm zu retten. Sie stolperten über die aufgerissene Erde, hatten nur ein paar Habseligkeiten in einen Beutel gestopft, Mütter drückten ihre Babys an sich, kleine Kinder trotteten neben ihnen her, ganz schwach und schutzlos. Ab und zu drehten sie sich um und blickten in den Abgrund der Hölle. Schwer beladene Esel, sonst so weltweise und kluge Wesen, wieherten und trabten rasch dahin, ihre großen Augen waren vor Schreck weit aufgerissen und rollten hin und her, bis fast nur noch das Weiße zu sehen war.
Eine jener Entscheidungen, wie sie Könige und Kaiser jeden Tag zu treffen haben, dachte Aëtius bitter. Welche Unschuldigen soll ich heute Morgen zum Tode verurteilen? Wen soll ich dem Verderben anheimgeben, wen verschonen?
Die ersten Kriegerpferde waren nur noch Minuten entfernt, sie galoppierten wie wild auf sie zu. Sie würden die Flüchtlinge wie mit der Sense niedermähen.
Schon standen die ersten Flüchtlinge vor den verriegelten Toren. Laut wehklagend bettelten sie um Einlass, doch es war zu spät. Einige fielen verzweifelt zu Boden, ohne sich je wieder zu rühren.
«Lasst sie herein», sagte Aëtius ruhig. «Es ist Platz für alle.» Er musste an den verrückten Vogelfänger im Wald denken. Platz für alle, im geräumigen Korb des Todes. «Öffnet die Tore!»
«Aber, General, der Feind ist bereits …»
Da stürmte er schon selbst auf die Treppen zu. «Entriegelt das Tor und bringt mir mein Pferd. Wolfskrieger,
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