Attila - Die Welt in Flammen
Seite, auf der anderen Seite ritt die Hexe Enkhtuya.
«Das Erdbeben, von dem wir gehört haben», sagte Geukchu mit leiser, verführerischer Stimme, «bedeutet, dass Astur mit uns ist! Es ist, als hättest du es selbst geplant, o Herr!»
Doch selbst in seinem derzeitigen Zustand reagierte Attila allergisch auf Schmeicheleien, und so murmelte er nur ein paar Verse eines alten persischen Gedichts.
«Die Spinne webt die Vorhänge im Palaste des Cäsaren, Der Eule Wachruf erklingt in den Türmen Afrasiabs …»
Sie ritten weiter, finstere Nacht umgab sie. In den Wäldern hinter ihnen, gleichsam als Echo auf diese melancholischen Verse, war nur der Ruf einer Schleiereule zu hören und das Wehklagen eines Heiligen um die Sünden dieser Welt.
19. DIE FLÜCHTLINGE
A ëtius stand auf der Mauer neben dem Militärtor V. Neben ihn gesellte sich der hagere, sehr alte Gamaliel.
«Ihr schon wieder!», waren die dürren Worte, die Aëtius ihm zum Gruß entbot, doch dann bestellte er ihn zum Aufseher des nahe gelegenen Emmanuel-Hospizes und befahl den Mönchen, seinen Worten Folge zu leisten. Schon bald würde es dort mehr als genug zu tun geben, und dieser alte Fuchs schien sich in seiner Materie auszukennen.
Unten auf der Straße spielten Kinder, die die Welt und die Schatten, die sie warf, ganz vergessen zu haben schienen. Menschen aller Altersgruppen saßen die ganze Nacht über um Feuerstellen herum und unterhielten sich, anstatt zu schlafen. Die Kinder sangen einen alten Abzählreim:
Schildkröt, Schildkröt, sag uns, wie’s geschah!
Webst kein gelbes Garn uns mehr?
Wie denn starb dein Vater, eh er sich’s versah?
Fiel vom Pferd und ertrank im tiefen Meer.
Ein rätselhafter Reim. Ganz plötzlich sah Aëtius sich als Sterbenden. Ein Zeichen für das Altwerden: Jüngere Männer können sich nicht vorstellen, je sterben zu müssen, doch mittlerweile spürte er immer öfter, wie ihm ein Schwert oder Speer in den Bauch gerammt wurde, sah sich in einem blutgetränkten Bett im Lazarett liegen, die Arme flehend erhoben, aber immer wieder das Bewusstsein verlierend, während die Schlacht um ihn herum noch tobte. Er hoffte, das war keine böse Ahnung.
Tum magna sperabam, maesta cogitabam
– Große Hoffnungen hegte ich damals, doch meine Ahnungen waren trübe.
Gamaliel redete vom Pantheon der Hunnen, er hielt einen wahren Vortrag. Er sagte, die Götter trügen untereinander stellvertretend einen Kampf aus.
«Die Hunnengötter sind gute Kämpfer und schrecken auch vor schmutzigen Tricks nicht zurück», murmelte Aëtius. «Astur, Sawasch und alle anderen. Attila glaubt an sie ebenso wie an sich selbst.»
Gamaliel wandte sich in der Dunkelheit ihm zu und sagte: «Die Menschen glauben an einen Gott, der ihr eigenes Herz widerspiegelt. Dunkles Herz – dunkler Gott.»
«Wessen Gott ist dann der wahre?», fragte Aëtius.
«Wessen Herz ist wahrhaft aufrichtig?»
* * *
In der Nacht führte Prinz Thorismund, der dabei eindeutig amüsiert dreinblickte, noch jemanden zu ihm. Es war der kretische Alchemist, Nicias.
«Ich dachte, du seist in Antiochia oder Alexandria», brummte Aëtius.
«War ich auch», sagte Nicias verletzt. «Ich habe dort weitere alchemistische Utensilien zusammengesucht, was ziemlich kostspielig war. Dann kam ich wieder hierher, um meine Experimente mit der, nun ja, Zerstückelung
prae-mortem
von Thunfischen fortzuführen.»
«Du hast Fische in die Luft gejagt?»
«Exakt!»
«Ihr Alchemisten seid wirklich seltsam …»
Der Gelehrte versicherte ihm, dass nach mehreren unerwarteten Ergebnissen seiner Experimente – Aëtius bemerkte, dass Nicias noch immer keine nennenswerten Augenbrauen hatte – es zu einem glücklichen Umstand gekommen sei: Ein großer Thunfisch sei explodiert und verbrannt, und zwar unter Wasser.
«Ein Wunder, kein Zweifel», sagte Aëtius. Nicht ohne böse Ahnungen erlaubte er Nicias, seine erbärmlichen Feuergefäße und Gott weiß was sonst noch alles oben auf den Türmen des Barbara-Tors über dem Goldenen Horn aufzubauen. Er konnte dort den Befehl über das einzige Artilleriegeschütz übernehmen und auf alles zielen, was sich bewegte. Idealerweise auf Kriegsschiffe der Vandalen.
«Ach, und wenn du irgendwelche Schiffe mit Legionen aus dem Westen sehen solltest, die uns zu Hilfe kommen, gib Bescheid.»
Nicias war verblüfft: «Ist das denn wahrscheinlich?»
«Nein. Und nun verschwinde!»
Der Alchemist huschte hinaus.
«Als Nächstes werden wir
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