Attila - Die Welt in Flammen
und her wippenden Kopfschmuck der Wolfskrieger aus Pferdehaar und die langen Spitzen ihrer Speere. Sie würden sie bald benötigen.
Zusammen mit seinen Generälen ritt Attila in der Mittagssonne langsam über die Ebene, den Blick die ganze Zeit auf die Mauer gerichtet. Aëtius stellte sich vor, dass er ein missmutiges Gesicht machte. Seine Spione und Geheimdienste hatten ihm sicherlich jedes Detail dieser titanischen Verteidigungsmauern geliefert. Doch dies war das erste Mal, dass er die Theodosianische Mauer erblickte. Bestimmt bereitete der Anblick ihm ein gewisses Unbehagen. Es war keine einfach ummauerte Festung oder eine normale Stadt mit einer Kathedrale, die er da vor sich hatte.
Aëtius befahl den Armenier zu sich. «Reiß die Augen auf, Ostbewohner. Sag mir, ob du den Großen Tanjou sehen kannst und ob er besorgt dreinschaut.»
«Ich sehe ihn», sagte Arapovian. «Wir haben uns früher schon einmal getroffen, erinnerst du dich?»
«Und sag mir, dass er besorgt dreinschaut.»
Arapovian grinste. «Selbst die Schründe des Elbrus haben mehr Ausdruck.»
Aëtius brummte: «Sollen wir ihm einen Pfeil schicken?»
«Zu weit weg. Außerdem: Als ich das letzte Mal versuchte, ihn zu erledigen, habe ich mir das hier eingehandelt.» Er schob seinen Ärmel zurück und entblößte eine große Narbe.
Aëtius lachte. «Du hast versucht, Attila zu erschießen?»
«Er reitet vorneweg, ohne Furcht. Es war ein Befehl von Sabinus, dem Legaten von Viminacium.»
Aëtius blickte wieder grimmig drein. «Dieser Sabinus war ein guter Mann. Und nun geh wieder auf den Turm.»
Er blieb allein zurück und sinnierte einen Augenblick über das missglückte Attentat. Hinterhältig und heimtückisch war es, das stimmte, doch es hätte auch klappen können. Und jetzt, da die Belagerung begann – wenn sie jetzt Attila irgendwie treffen, ihn auf irgendeine Weise schwächen könnten, dann geriete das Vertrauen dieses Riesenheeres zu ihm ins Wanken. Das war das Beste, was ihnen passieren konnte. Eine derartige Armee aber auf offenem Feld herauszufordern …
Der Untergang von allem, woran er glaubte, war nun ganz nah. Zugleich erhielt er dadurch einen verzweifelten Energieschub. Er setzte seine Runde fort, inspizierte die anderen Wachtürme, überzeugte sich vom Zustand der Geschütze, feuerte die Männer an. Erschöpfung und Schlafmangel spürte er schon gar nicht mehr. Es hatte ohnehin keinen Zweck, sich zu schonen. Wozu denn? Für das Nichts, das da kommen sollte?
20. DIE GROSSE BELAGERUNG
A ls Attila sich endlich der Goldenen Stadt näherte, ragten die Mauern immer noch höher vor ihm auf, als eine riesige dreifache Welle aus Stein. Natürlich kannte er die gesamten baulichen Angaben, die Maße, er hatte seinen Angriff aufs Genaueste geplant. Doch als er die Mauern nun tatsächlich sah, verstummte selbst er für einen Moment.
Orestes, der neben ihm ritt, stellte fest, dass ungeachtet der Schäden, die das Erdbeben angerichtet hatte, die Mauern und, noch entscheidender, die Türme wieder vollkommen instand gesetzt worden waren. Sie wiesen keine nennenswerten Sprünge auf, keine vielversprechenden Risse von den Zinnen bis zum Fundament.
«Und dort», er deutete auf das Mauerwerk um das Sankt-Romanus-Tor, «dieser Turm dort muss halb eingestürzt sein, man erkennt noch, wo er neu angestückelt wurde. Jetzt ist er wieder so mächtig wie zuvor. Wir hätten uns etwas mehr beeilen sollen.»
Attila blieb stehen und drehte sich zu ihm hinüber. «Du stellst meine Entscheidungen infrage? Beschuldigst mich, getrödelt zu haben, ja, feige gewesen zu sein?»
Orestes blieb unbeeindruckt. «Ich stellte unsere Verzögerung bei diesem Angriff infrage. Wir haben es uns schwerer gemacht.»
Was Attila zur Antwort gab, ging unter, denn Aladar riss sein Pferd am Zügel, worauf es auf die Hinterhand ging. «Pfeile von oben!»
Sie erschraken, als sie den Pfeilschauer der Wolfskrieger bemerkten, der sie jedoch nicht traf. Attila knirschte mit den Zähnen, und sie wichen ein Stück zurück. Dann riss er sein Pferd derart wütend herum, dass sich das arme Tier beinahe das Genick brach und sein Maul einriss.
Die Zeit drängte. Hinter ihnen im Westen schien die spätnachmittägliche Sonne, sie färbte sich allmählich rot und blendete die Verteidiger auf den Zinnen.
«Bringt die Geschütze her!», brüllte er. «Zu beiden Seiten des Tals. Ich will, dass diese Mauern bei Einbruch der Dunkelheit gefallen sind! Noch heute Nacht muss Byzanz
Weitere Kostenlose Bücher