Attila - Die Welt in Flammen
um zu kämpfen. Man kann eine befestigte Stadt nicht einnehmen, wenn man allein über die Mauer geklettert ist. Mit rasender Geschwindigkeit stieß er den Enterhaken aus dem Mauerwerk und schlang das Seil einmal lose um eine Zinne. Faustriemen war ihm auf den Fersen, er schwang seine Keule drohend über dem halb abrasierten, helmlosen Schädel, holte mit einer Wucht aus, als wolle er ein Pferd erschlagen – und da war der Krieger weg! Ohne sich umzusehen, hatte er sich ins Leere gestürzt, hielt sich nur an dem Enterhaken fest und hangelte sich an der Wand entlang nach unten.
Faustriemen schaute ihm nach, fassungslos. «Was bist du, ein Akrobat aus dem Zirkus?», murmelte er.
Da erhob sich ein Hagel aus Pfeilen, einer davon verletzte ihn an dem Arm, den schon die alten Narben zierten. Faustriemen brüllte vor Schmerz auf, drosch blindlings mit der Keule auf das Seil ein, das sich plötzlich straffte. Arapovian kam mit gezücktem Messer auf ihn zugerannt.
Das Seil glitt hinter dem Hunnenkrieger hinab, er selbst ließ sich langsam auf die Erde rollen und sprang dann unverletzt auf. Über die gesamte Mauerbreite hinweg hatte sich dieses Spiel mehrmals wiederholt, und obwohl einige Krieger dieser Vorhut ihr Leben dabei ließen, blieben die meisten unversehrt. Während die akrobatischen Belagerer gleichsam zur Erde zurückschwebten, wurden riesige Netze hinaufgezogen, die schon bald von den vierundvierzig Fuß hohen Mauern herabhingen. Die Verteidiger hackten verzweifelt auf die um ihre eigenen tückischen Zinnen gespannten Seile ein, und es wurden auch einige davon befreit. Aber nicht genügend. Sekunden später wimmelten die Netze von Hunnen, die wie Eidechsen daran hinaufkrabbelten. Die ersten schwangen sich bereits über die Zinnen und bildeten kleine, isolierte Brückenköpfe, welche die verbliebenen Netze schützten, während weitere Kameraden folgten.
Aëtius ließ sich Bericht erstatten, die Nachrichten waren allesamt schlecht. Dann kamen gar keine mehr. Alle waren in die Kämpfe verwickelt.
Sie mussten die Mauern von den Hunnen befreien. Und zwar jetzt, oder alles war zu spät.
* * *
Im dunklen Untergrund fand eine andere Art Kampf statt.
Die stämmigen Männer aus den isaurischen Bergen, die an Tunnel und Höhlen gewöhnt waren, wie Aëtius angenommen hatte, waren rasch den Verteidigungsgang unterhalb der Mauern beim Blachernae-Palast entlanggelaufen und dann nach links abgebogen, um den Hunnen den Zugang abzuschneiden. Im schwachen Licht und beim Glitzern unterirdischer Rinnsale waren sie kurz hinter den Anführern der Hunnen in deren Tunnel eingebrochen und mussten nun gleich an zwei Fronten kämpfen, vorne und hinten. Augenblicklich zogen sie sich in ihren eigenen Tunnel zurück, Zeno an der Spitze, und kämpften an der engsten Stelle, die gerade einmal zwei Menschen nebeneinander Platz bot. Halb erstickt von Rauch und üblen Gerüchen, mühten sie sich in der Enge mit Schwertern und Speeren ab, glitten in Pfützen mit Brackwasser aus, tasteten sich bei flackerndem Öllicht vorwärts, eine Szene von homerischem Schrecken. Ihre Feinde waren keine Hunnen, die Reiter der Steppe hätten sich niemals in diese beengende, klaustrophobische Unterwelt gewagt. Es waren Söldner aus Batavien und Sachsen, die sich mit dem Graben von Stollen auskannten, denen es aber nicht um Treue zu Attila ging, sondern um Lohn und Beute. Als sie nun auf eine Horde wüst aussehender Kämpfer stießen, so gedrungen und bärtig wie die Zwerge ihrer eigenen Mythologie, mit Kurzschwertern und Äxten, die gruselige Schatten an die Tunnelwände warfen, ergriffen sie panikartig die Flucht. Die Isaurier verfolgten sie und brachten sie unbarmherzig zu Fall, bis sich so viele Leichen vor ihnen auftürmten, dass sie nicht mehr vorbeikamen.
Sie zogen die Leichname zur Seite und stießen sie in die Pfützen und unterirdische Teiche. Dann hasteten sie in der fauligen, stickigen Düsternis durch die glitschigen Röhren, von deren Decken es herabtropfte, bis sie beinahe am Ausgangspunkt angelangt waren. Dort entfachten sie rasch ein Feuer um einen der Grubenpfosten, um den Sauerstoff aus dem Gang zu ziehen und damit auch den letzten Eindringlingen den Garaus zu bereiten. Dann zogen sie sich zurück, zerstörten noch weitere Pfeiler und scharrten den Tunnel zu, damit ihnen selbst genügend Luft blieb. Sie brachten den ganzen mühsam geschaufelten Tunnel zum Einsturz und blockierten den Ausgang mit Felsbrocken. Endlich kamen sie im Schutz
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