Attila - Die Welt in Flammen
Aufmerksamkeit einen Augenblick von den heiligen Schriften ab. Euer Majestät, habt Ihr die Banner der fliehenden feindlichen Reiter auf der linken Flanke bemerkt?»
«Ja, die Banner der Heiden», grollte Theoderich. «Barbarische Embleme voller Runen der Wildheit und des Unglaubens.»
«Darunter auch der Schwarze Eber.»
Theoderich blieb der Mund offen stehen, er griff sich ans Kinn.
«Die Söhne Geiserichs sind hier.» Aëtius nickte unbeteiligt. «Friedrich, Hunerich und Gento.»
Theoderich hatte schon mit seinem Pferd kehrtgemacht und gab ihm die Sporen, doch die beiden Prinzen holten ihn ein und beruhigten ihn.
Ein Späher kam eilends auf sie zugeritten.
«Haben sich Eure Sinne geschärft?», höhnte Aëtius.
«Herr, sie reiten nach Nordosten. Zumindest einige der Pferde wirken dürr und kränklich.»
«Hm. Wieder eine Aufgabe für die Maurischen Reiter.»
Victorius erschien.
«Zenturio, breite die Landkarte aus.»
Tatullus kniete sich auf den staubigen Boden und breitete eine riesige Schlachtenkarte aus, die aus dickstem gerolltem Pergament gefertigt und höher und breiter war als ein Mensch.
«Hör gut zu, Maure. Reite nach Osten und dann nach Norden. Nimm fünfzig deiner besten Männer mit. Reitet schneller als ihr je geritten seid. Überholt die Hunnen, passt aber auf ihre Späher auf: Sie wagen sich weit vor. Hier, in Melodunum», er deutete mit seinem Stab, «und auch hier, in Augustabona, stehen große
horrea
, Kornspeicher. Die Leute vor Ort werden euch den Weg weisen. Die Hunnen dürfen ihrer nicht habhaft werden. Versteht ihr? Brennt sie nieder, macht dann einen großen Bogen und reitet zurück zu uns. Die Hunnen werden euch nicht erwischen, nicht auf ihren halb verhungerten Ponys, während ihr auf euren prächtigen Berberpferden reitet!»
«Und was sollen unsere prächtigen Berberpferde fressen?», fragte Victorius.
«Sie bekommen Futter über unsere Versorgungslinien im Süden, wir haben sie reichlich ausgestattet. Ihr wisst, dass eine komplette Marschlegion bestehend aus fünftausend Mann vier Tonnen Korn täglich benötigt, hinzu kommen dreihundert Kilogramm Futter für die Hilfstruppen. Eine volle Reiterdivision braucht weit mehr. Und glaubst du denn, ein Nomadenvolk wie die Hunnen hätten sich über Vorräte Gedanken gemacht? Sie werden niemals genügend Weiden finden, nicht in dem von den Bauern stark genutzten Gallien.» Die kühlen grauen Augen suchten den Horizont ab. «Manchmal hängt der militärische Sieg nicht von Heldentaten ab, sondern von kleinen Einzelheiten. Attila und seine Horden werden in Gallien hungern!»
Der Maure grinste, und ohne ein Wort streckte er den Arm aus und galoppierte los. Fünfzig Mann folgten ihm in Richtung Osten, in großem Abstand zu dem sich zurückziehenden Heer Attilas.
Aëtius blickte wieder auf die Landkarte. «Die nächstgelegene Ebene in nordöstlicher Richtung», sagte er, «das Tal der Marne?»
Tatullus nickte. «Catalaunia.»
«Die Schlacht auf den Katalaunischen Feldern», murmelte Aëtius. «Klingt gut.»
8. DIE KATALAUNISCHEN FELDER
D ie Hunnen zogen sich aus Aureliana zurück. Viele von ihnen konnten kaum glauben, dass sie vor der lange erwarteten römischen Armee geflohen waren. Der Himmel wurde immer finsterer, und schließlich begann es zu regnen. Ihre Pferde waren ziemlich erschöpft. Sie ließen die Köpfe hängen, ihre Flanken waren eingefallen, die Hüftknochen standen hervor. Nie gab es ausreichend Gras, nicht einmal jetzt im Frühsommer. Ein harter Winter lag hinter ihnen, und der Frühling hatte sich feucht und wolkig gezeigt. Attila ritt an der Spitze seiner riesigen Streitmacht, seine rauen grauen Locken hatten sich ganz vollgesogen und tropften. Sein Gesicht war von tiefen Furchen durchzogen und düster. Er sprach mit niemandem. Orestes und Chanat ritten ein kleines Stück hinter ihm.
Was die Nomadenvölker betraf, die mit ihnen ritten, so war der Rat ihrer Anführer Attila nicht mehr genehm. Irgendwann war Attila zum einzigen Befehlshaber geworden und sie zu seinen stummen Sklaven. Ohnehin hatten sie in seiner bunt zusammengewürfelten Armee an Bedeutung verloren. Wie sie nun fröstelnd und hungrig durch die westlichen Landstriche zogen, bekamen sie immer stärkeres Heimweh.
Hier in den üppigen, stark von der Landwirtschaft geprägten Provinzen des Westreiches gab es überall Straßen, Städte und Gehöfte – nur keinen Platz, um zu galoppieren oder frei zu atmen. Hecken umstanden die Felder, die Wälder
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