Attila - Die Welt in Flammen
schärfte dem Jungen, und damit auch den anderen, ein, wie wichtig es war, die Feinde zu hassen. «Denkt an eure Familien. Denkt daran, was aus ihnen werden soll … und gelobt euch, die Barbaren zu hassen», sagte er. «Euer Hass wird die Furcht vertreiben, und dann werdet ihr kämpfen wie die Löwen.»
Als die Legionsstandarte mit dem Stier gesenkt und durch die Tür des Fahnenheiligtums in die Nacht hinausgetragen wurde, erwies er ihr durch eine knappe Verbeugung die schuldige Ehre.
Allein stattete er dem Lazarett einen Besuch ab, um sich davon zu überzeugen, dass dort alles seine Ordnung hatte. Die Sanitäter empfingen ihn in Habtachtstellung. Gegenwärtig lagen dort nur vier Kranke, einer davon sichtlich dem Tode nahe. Ein anderer hatte Wunden am Bein, die gerade fleißig von Maden, frisch aus dem Pferdemist geklaubt, gereinigt wurden. Ein großer Vorrat Wickel, Verbände und Bandagen, auf den Öfen vor sich hin dampfende Kupferkessel, Tiegel mit grüngrauem Aufguss aus Weidenblatt zur Wundbehandlung.
Dann kehrte er an seinen Posten auf dem Westturm zurück. Tatullus, der Zenturio, wirkte ganz ruhig. Ein Fels in der Brandung.
Das Warten war immer am schlimmsten. Oh, wenn es doch bald losgehen würde.
Aber man ließ sie warten. Sie warteten die ganze Nacht, bis um sie herum der Morgen graute.
* * *
Tief hängender Morgendunst, am dichtesten über dem stillen Fluss im Norden. Schwer lastender, dichter Rauch über der verlorenen Stadt, die sich einst so stolz inmitten der sommergrünen Auen erhoben hatte. Rauch, der langsam nach Osten trieb, auf das Kastell zu, und sich mit den Dunstschwaden im kalten Schatten der Nordmauer vermengte.
Die ganze Nacht hindurch hatten am Himmel die Sterne geblinkt und eine Art Widerhall in unzähligen Feuerstellen auf der umliegenden Ebene gefunden. Ihre Feinde natürlich, aber dennoch das sonderbar tröstliche Gefühl, nicht völlig allein zu sein. Im ersten Morgengrauen dann, empfindlich frischer als der vorangegangene warme Sommertag, war aus dem Fluss und den marschigen Auen im Umland Nebel aufgestiegen, der sich bis zum Sonnenaufgang stark verdichtete. Jetzt war alles in undurchdringlichen weißen Nebel gehüllt, und Sabinus oben auf dem Turm kam sich vor wie der Kapitän eines Geisterschiffs, das auf einem fremden, unerschlossenen Ozean dahintrieb.
«Miserable Sichtverhältnisse», sagte er.
«Nur für uns», erwiderte Tatullus nüchtern. «Nicht für unsere Gegner.»
Der Angriff musste nun bald erfolgen. Die Soldaten auf den Mauern stampften von einem Fuß auf den anderen, hauchten sich in die kalten Hände. Jeder einzelne angespannte Knochen in den kalten Kettenhemden tat ihnen weh. Hinzu kam jetzt noch der Nebel, der nass auf kaltem Metall perlte.
Nackenschmerzen plagten sie, weil sie die ganze Nacht ihre schweren Helme getragen hatten. Kinnriemen schnitten tief in Hälse ein. Füße waren eiskalt. Die Artillerie auf den Mauern war vorbereitet und geladen. Die Schwerter waren geschärft. Tiefe Stille in der Welt um sie herum. Nicht einmal die Vögel zwitscherten.
Auf dem Nordwestturm spähte ein Legionär zum Fluss hinüber, um abzuschätzen, ob sich der Nebel nun, bei Sonnenaufgang, endlich lichtete. Das Ufer gegenüber war noch immer nicht zu erkennen. Dann runzelte er die Stirn. Etwas stimmte nicht. Der Nebel verdunkelte sich, ganz in der Nähe. Schatten bewegten sich darin, oberhalb des Nebenflusses, der an der Kastellmauer entlangströmte. Irgendetwas tat sich dort. Kam näher.
Stromabwärts, zwischen den beiden Wachtürmen am Fluss, war doch die Sperrkette gespannt, oder? Am Vorabend hatten sie sich noch über die Wasserwege unterhalten. Nach Aussage von Flüchtlingen benutzten die Eindringlinge anscheinend Flöße, um ihre Pferde überzusetzen. Sollten die Barbaren aber wirklich so dumm sein, einen Angriff flussabwärts zu versuchen, würden sie sich dort ein blutige Nase holen. Die Schlucht am Eisernen Tor würde mit der Kaiserkette versperrt sein, oben auf den Klippen waren Hilfstruppen stationiert, und notfalls würden die Marineinfanteristen der Donauflotte von Ratiaria herbeirudern, um ihnen den Garaus zu machen. Dort war für sie kein Durchkommen.
Falls aber ihr Plan – sofern sie so etwas überhaupt hatten – vorsah, zunächst Viminacium einzunehmen und dann auf der Fernstraße gen Süden weiterzuziehen, nach Naissus und dem wohlhabenden Sardica, wo reiche Beute winkte, dann würden sie damit nicht weit kommen. Nicht, solange ihnen ein
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