Attila - Die Welt in Flammen
nördlich der Donau durchgeführt, die nunmehr so fürchterlich gerächt wurde. Freilich nur auf Befehl von höchster Stelle, dem man sich nicht widersetzen konnte; eine unschöne, aber notwendige Aufgabe. Jetzt aber ritten sie dem Feind mit wirklichem Zorn im Leib entgegen.
Sabinus hob die Hand, warf einen letzten Blick auf die Ebene. Die hunnischen Reiter verschwanden in der Ferne, geisterhafte, in ockerfarbene Staubwolken gehüllte Gestalten. Er senkte die Hand. Die Pförtner wuchteten die mächtigen Eichenbalken zurück, die beiden eisenbeschlagenen Torflügel schwangen ächzend auf, und die Kolonne setzte sich in Trab: eine große, schimmernde Schlange, die aus ihrem Bau hinausglitt in die nichtsahnende Welt.
Die Männer oben auf den Mauern brachen bei ihrem Anblick in Jubel aus. Die
Schola Scutariorum Clibanariorum
machte in der Tat einen majestätischen, energischen Eindruck. Ihr weniger majestätischer Spitzname lautete «Ofenjungs», da sie an einem warmen Tag wie diesem in ihren schweren Rüstungen förmlich gebacken wurden. Aber sie waren daran gewöhnt, bewusst führten sie ihre Übungen auch an den heißesten Tagen durch, mitunter sogar noch mit einer zusätzlichen Schicht Kleidung unter der Rüstung.
Sie hielten die Zügel fest gestrafft und trabten diszipliniert voran, um ihre Formation so lange wie möglich beizubehalten. Ihre Rösser trugen blanke Gesichtsmasken aus Silber, welche hauptsächlich dem Zweck dienten, den gegnerischen Pferden Angst einzujagen. Pferde fürchteten sich vor allem Möglichen: vor Kamelen, Elefanten, und eben auch vor anderen Pferden mit Masken. Pferde, hatte Sabinus gehört, scheuten bei der Attacke sogar, wenn sie nur einen Hauch von Löwendung witterten. Schade, dass er gerade jetzt keine Säcke voll Löwendung zur Verfügung hatte.
Die davonreitenden Hunnen ahnten noch nichts von dem Angriff, der ihnen bevorstand. Andronicus stellte sich in den Steigbügeln auf und gab mit dem Kopf Zeichen, worauf die Kolonne in leichten Galopp verfiel. Doch dann stieß ein Hunne, der sich umgedreht hatte, einen Warnruf aus. Sofort gab Andronicus seinem Pferd die Sporen, das leise aufwieherte und in gestrecktem Angriffsgalopp lospreschte, zusammen mit dem Rest der Kolonne.
Die Masse der abziehenden Hunnen stob auseinander und teilte sich, ehe der massive Keil aus Eisen und Bronze voll in sie hineinstoßen konnte. Oben auf seinem Posten am Westtor wurde Sabinus mit Schrecken klar, dass sein letzter verzweifelter Versuch eines Gegenangriffs scheitern würde. Der sonst so verheerende Angriff der schweren Kavallerie fand schlicht kein Ziel – die Reiternomaden wichen vor dem heranstürmenden römischen Stoßkeil einfach im Galopp ins freie Gelände der pannonischen Ebene aus, die ihnen ähnliche Bewegungsfreiheit bot wie die Steppen im heimatlichen Skythien. Die Attacke der gepanzerten Reiterkolonne stieß ins Leere, verpuffte ohne jede Wirkung. Und schon rissen einige Hunnen, die noch Pfeile im Köcher hatten, ihre Pferdchen herum und kamen von der Seite her rasend schnell, mit bereits von den Schultern hinabgleitenden Bogen auf sie zugeprescht.
Sabinus kam sich vor wie der Kaiser in Konstantinopel persönlich, der in seiner erhöhten Privatloge, der
kathisma
, einer harmlosen Nachmittagsvorstellung im Hippodrom beiwohnte. Pfui, welch ungehöriger Gedanke! Er war selbst schon in der Hauptstadt gewesen, hatte den Obelisk Theodosius’ des Großen im Hippodrom gesehen, wo er im Jahr 390 im Triumph aufgestellt worden war. Er hatte sich die Reliefs auf dem Sockel angesehen, auf denen zottelbärtige Barbaren in Tierfellen sich demütig vor dem Kaiser und seiner Familie oben in ihrer kaiserlichen Loge verbeugten. Welch eine Arroganz. Welche Hybris. Dieses Denkmal des Hochmuts und der Selbstherrlichkeit: der Kaiser von Ostrom, Statthalter Gottes auf Erden, der auf ewig siegreich über die heidnischen Horden triumphierte … Nun war wohl der Zeitpunkt gekommen, wo das Glück sich wendete. Sabinus quälte es unendlich, hilflos mit ansehen zu müssen, wie seine Männer hier dem sicheren Tod entgegengingen.
«Die Hunnen auf der offenen Ebene zu jagen, ist so, als würde man einen Tiger in einem dunklen Wald jagen», ließ sich eine sanfte Stimme ganz in der Nähe vernehmen. Es war Arapovian. «Nachts. Mit einem Stock.»
«Sei still, Soldat.»
Sabinus wollte bereits zum Rückzug blasen lassen, aber da hörte er, wie Andronicus eine Art Triumphschrei ausstieß, und hielt inne. Vielleicht sah
Weitere Kostenlose Bücher