Attila - Die Welt in Flammen
bei lebendigem Leib.»
Einige fragten sich, woher Nicias das so genau wusste, und malten sich schaudernd das Schicksal wehrloser Sträflinge in Alexandria aus, die ihm möglicherweise zu Versuchszwecken zur Verfügung gestellt worden waren. Er schraubte die Kugel rasch wieder zusammen und legte sie auf den Wurfarm seines kleinen Katapults. Da er wesentlich nervöser wirkte als noch bei der ersten Vorführung, gingen die Zuschauer vorsorglich auf Abstand.
«Und nun», seine Augen leuchteten, um seinen Mund zuckte es sonderbar, «aufgepasst!»
Was als Nächstes geschah, war nicht ganz klar. Es gab einen ohrenbetäubenden Knall und eine grelle Stichflamme, Funken sprühten, und irgendwo im dicht aufquellenden Rauch brüllte Nicias wie am Spieß. Als sich der Rauch langsam verzog, kam der Alchemist zum Vorschein, noch immer neben seiner angekokelten Kiste kniend. Die Haut in seinem Gesicht und an einem Arm war rot versengt; das kleine Katapult war spurlos verschwunden.
Das Deck hatte Feuer gefangen, ansonsten aber war, wie durch ein Wunder, niemand zu Schaden gekommen.
«Hm», sagte Aëtius, während er sich dem Schauplatz näherte. «Daran muss wohl noch etwas gearbeitet werden.»
Der Schiffsführer gab aufgeregt Befehl, Eimer ins Meer hinabzulassen und das Feuer zu löschen, aber die Seeleute waren schon längst dabei, Seile von der Reling zu lassen.
Aëtius half dem benommenen Alchemisten auf die Beine.
«Und jetzt», sagte er, «schaffst du deine Zauberkiste wieder unter Deck, und da bleibt sie dann auch. Sollte ich dich noch einmal damit hier oben erwischen, landet sie im Wasser – und du gleich hinterher.» Er schloss den Deckel der Kiste mit einem Tritt. «Und lass dir deine Brandwunden mit Essig behandeln.»
Das Feuer auf den Schiffsplanken war gleich gelöscht. Nicias’ famoser Brandstoff war glücklicherweise noch nicht ganz ausgereift. So mancher an Bord betete, dass ein solches Brandmittel niemals wirklich erfunden würde.
4. DER SCHWAN, DER HAIFISCH UND DER DRACHE
D rei Tage später waren ihnen bereits mehrere Handelsschiffe begegnet, die auf den vielbefahrenen Seewegen zwischen Syracus, Nicopolis, Alexandria, Antiochia, Rhodos und Thessalonika unterwegs waren. Sie grüßten jedes der Schiffe und erkundigten sich bei der Besatzung, ob ihnen Piraten begegnet seien, erhielten aber jedes Mal nur Kopfschütteln zur Antwort.
«Alexander der Große hat einmal einen Piraten gefangen genommen», fing Prinz Thorismund an. «‹Was fällt dir ein, die Meere unsicher zu machen?›, fuhr ihn der König an. ‹Ich handle nicht anders als du, der die Erde unsicher macht›, entgegnete der Pirat. ‹Ich mache die Meere auf einem kleinen Schiff unsicher und werde Pirat genannt. Täte ich dasselbe mit einer Flotte von Kriegsschiffen, würde man mich einen Kaiser nennen.›» Der Prinz grinste breit. «Das nenne ich mal Philosophie. Denn was sind Königreiche anderes als große, organisierte Räuberbanden?»
«Sehr gut», sagte Aëtius trocken. «Nun bitte noch eine Definiton für ‹Sophisterei›.»
Am vierten Morgen, sie hatten mittlerweile die Ägäis erreicht und segelten bei schwachem Nordwestwind friedlich über das ruhige Meer dahin, flaute der Wind unweit der Insel Melos merklich ab, und sie sahen ein einsames Schiff am nördlichen Horizont, das auf sie zukam. Nach etwa einer halben Stunde war es schon viel näher herangekommen, segelte aber auf einem Kurs, der achtern an dem ihren vorbeiführte. Das Schiff hatte ein großes Segel, das einmal schwarz gewesen sein mochte, inzwischen jedoch zu einem streifigen Grau ausgebleicht war. Einer dieser ramponierten alten Kähne, denen man ansieht, dass ihre Besatzung arm und harmlos ist. Dann änderte das Schiff unvermittelt seinen Kurs und hielt mit verblüffender Geschwindigkeit auf sie zu, und sie begriffen, dass diese Seeleute weder arm noch harmlos waren, sondern es schlicht verschmähten, sich mit niederen Arbeiten wie der Pflege von Decks oder Segeln abzugeben. Das war nur etwas für Sklaven. Diese Sorte Seeleute gaben ihr Schiff, wenn es auseinanderzufallen begann, einfach auf und kaperten sich ein neues. Das Schiff, das sich ihnen jetzt näherte, war jedenfalls von der Sorte ramponiert, verdreckt und sehr, sehr schnell.
Rufus stand in der Nähe. «Herr, seht Ihr auch das zweite Schiff? Dort am Horizont?»
Aëtius blinzelte. Verdammter Bengel. Er konnte nichts erkennen. «Beschreib es mir.»
«Eine weitere Dromone. Scheint gerade ebenfalls Kurs in
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