Attila - Die Welt in Flammen
Miniaturkatapult zusammen. Dieses stellte er neben der Kiste auf dem Deck ab und drehte dann geschwind an einer kleinen Messingkurbel, um es zu spannen. Sein Publikum sah ihm gebannt zu, aller Spott war verstummt. Selbst Aëtius beobachtete aufmerksam jeden seiner Handgriffe.
Nicias entnahm seiner Kiste eine kleine Kugel, die er zwischen Daumen und Zeigefinger langsam in die Runde zeigte, wie ein Händler auf dem Markt, der ein seltenes Ei zu verhökern hat. Die Kugel bestand aus Eisen und war ringsum mit scharfen Dornen gespickt, ähnlich wie ein Krähenfuß, der zur Abwehr von Reiterangriffen eingesetzt wird. Nicias legte die Kugel auf den Wurfarm seines kleinen Katapults, drehte einen Metallknopf an der Seite halb herum, und damit war das Gerät schussbereit.
«Einen Moment», sagte Aëtius. «Da draußen tummeln sich Delphine. Sieh nur.»
In den rötlich im Abendschein schimmernden Fluten hinter dem Schiff waren dunkle, glänzende Umrisse zu erkennen, die geschmeidig durchs Wasser glitten und immer wieder halb daraus auftauchten, etwa fünfzig Meter von ihnen entfernt.
«Umso besser!», rief der kleine Alchemist aufgeregt und richtete sein Katapult nach achtern aus. Die Zuschauer traten vorsichtshalber zurück. «Ich werde sie als Ziele nehmen. Dann könnt Ihr sehen, was passiert, wenn eins meiner Geschosse auf sterbliches Fleisch …»
Aëtius wendete langsam den Kopf und heftete den Blick seiner kühlen grauen Augen direkt auf ihn. Nicias erschrak und verstummte verlegen.
«Delphine waren einst Apollon heilig», sagte Aëtius streng, «früher, als noch die alte Religion herrschte.»
«Aber sie eignen sich doch gut zum Verzehr?»
«Das schon. Aber sie sind nicht dazu da, dass wir sie einfach nur so zur Belustigung abschlachten.»
Nach kurzem, betretenem Schweigen hatte Nicias sich wieder gefasst. «Also gut, dann nehmen wir mal an … stellen wir uns vor, da draußen, backbord von uns, befindet sich ein Schiff, ein rein imaginäres Schiff, ein Boot, auf dem Meer, eine feindliche Galeere, die wir unbedingt zerstören müssen, um jeden Preis –»
«Genug geschwatzt», sagte Aëtius. «Führe es uns einfach vor.»
Nicias richtete sein Katapult aufs Wasser aus und löste einen Hebel. Das kleine Gerät ließ einen verblüffend lauten Knall vernehmen, und die stachlige Kugel zischte in flachem Winkel direkt über den Wellen dahin, berührte immer wieder kurz das Wasser und schnellte weiter, über zweihundert Meter weit, ehe sie in den Fluten verschwand.
Nicias blickte aufgeregt in die Runde. «Habt Ihr’s gesehen? Dieser wirbelnde Krähenfuß, von mir selbst erfunden und konstruiert, schnellt über die Wasseroberfläche wie ein flacher Stein, geworfen von einem Jungen. Aber stellt Euch nur vor, was er in größerem Maßstab anrichten könnte, wenn er von einem entsprechend größeren Gerät auf ein feindliches Segel abgefeuert würde. Es würde in Fetzen gerissen! Oder etwa die Planken über den Köpfen der gegnerischen Ruderer, er könnte sie glatt durchschlagen. Man stelle sich vor, die Ruderer, die sich unter Deck vor Geschossen sicher wähnen, auf einmal zu Tode erschrocken um sich blinzelnd, schutzlos entblößt wie hilflose Tiere in ihrem Bau. Welche Kraft! Wir könnten sie völlig vernichten, aus der Ferne, ohne jede Feindberührung. Wir könnten sie gefahrlos abschlachten, ganz nach Belieben.»
Prinz Thorismund sah sich zu Aëtius um. Er sagte nichts.
«Nun», fuhr Nicias fort, «das war noch nicht alles.» Er entnahm seiner Kiste eine weitere Metallkugel, bestehend aus zwei Hälften, die er auseinanderschraubte. In die eine der ausgehöhlten Hälften kippte er aus einer dickwandigen kleinen Glasflasche ein graues Pulver und legte ein dünnes rundes Lederplättchen darauf, auf das er sodann eine dunkle, sirupartige Flüssigkeit goss. «Wirklich unglaublich, was die Chemiker in Alexandria und Antiochia sich so alles einfallen lassen, sagenhaft», schwärmte er aufgeregt. «Jetzt werdet Ihr staunen. Denn ich werde Euch ein Feuer vorführen, das auch im Wasser brennt, ein klebriges Feuer, das an einem hölzernen Schiffsrumpf festhaften kann und ewig dort weiterbrennt, das sich auch mit noch so vielen Eimern Wasser einfach nicht löschen lässt.» Der Schiffsführer hinten am Steuerhaus räusperte sich vernehmlich. «Stellt Euch vor, ein solches Feuer würde Euch am Arm haften. Das Geschrei muss man gehört haben, das kann man sich nicht vorstellen. Männer springen ins Wasser und verbrennen
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