Auch das Paradies wirft Schatten
»Sie haben mir doch aufgetragen, gerade das Gelände hier im Auge zu behalten. Das kann man aber nicht, wenn man herumtrampelt.«
»Schon gut, Recke.«
Marianne und der Forstmann beschnupperten sich, und das Resultat schien auf beiden Seiten zufriedenstellend auszufallen.
»Am unangenehmsten wäre es mir«, sagte dann Pedro zu Recke, »wenn mein Bruder hier herumgeistern würde. Ich habe Ihnen das ganz offen gesagt. Worum's ihm geht, wissen wir. Er ist ein Schießer und kein Heger. Außerdem sucht er ständig nach Schlupfwinkeln für sich und seine zweifelhaften Damenbekanntschaften. Dabei macht er nicht einmal vor Hochsitzen halt. Sie haben ihn doch selbst schon zweimal beobachtet und mir berichtet, was sich da tat. Pfui Teufel!«
Marianne Klett schien plötzlich wie mit Blut übergossen zu sein.
»Entschuldige«, sagte Pedro, als sein Blick auf sie fiel. »Ich vergaß deine Anwesenheit. Aber der Kerl regt mich einfach immer wieder auf, wenn ich an ihn denke, und es schadet nicht, wenn du von Anfang an über ihn Bescheid weißt. Es ist traurig, daß es in einer Familie so aussehen kann.«
Die Entladung tat Pedro offenbar gut, denn wesentlich beruhigter schloß er: »Na ja, wenigstens heute sind wir sicher vor ihm. Er mußte nach Boltenberge.«
»Sagte er das zu Ihnen, Herr Baron?« fragte Recke.
»Ja.«
Recke strich sich über die Augen. »Dann muß ich wohl Sehstörungen haben.«
»Wieso?«
»Weil ich ihn erst vor einer halben Stunde gar nicht so weit von hier zusammen mit Frau von Bahrenhof durch die Gegend reiten sah.«
»So?«
Pedro sagte nichts mehr. Marianne dünkte es, als müsse der See gleich über die Ufer treten. Eine tiefe Scham erfüllte sie. Siegurd und die blonde Baronin? Hatte er nicht gerade über diese in der Ohio-Bar ungefragt einige Dinge gesagt, die alles andere als schön gewesen waren?
Lustige Witwe? Schönheitschirurgengoldgrube? Lebender Lift? Vollreiflese? Nymphomanin?
Die brave Marianne hatte nicht gewußt, was eine Nymphomanin ist, und anderntags in ihrer Naivität Dr. Faber, ihren Chef, gefragt. Der hatte sie überrascht angeblickt und dann nur gesagt: »Sie sind keine.«
Damit konnte sie auch nichts anfangen, und sie besorgte sich deshalb ein Lexikon und sah unter ›Nymphomanin‹ nach. Das dicke Buch fiel ihr fast aus der Hand; dort stand: ›Mannstolles Weib‹.
Pedro schlug vor, den Spaziergang fortzusetzen.
»Und Sie, lieber Recke«, sagte er zum Förster, »melden mir heute abend, wo ein guter Bock steht, für den es dann morgen früh ernst werden soll. Fräulein Klett kann's schon gar nicht mehr erwarten.«
»Das stimmt nicht!« rief Marianne, damit unwillkürlich Zeugnis dafür ablegend, daß ihr das arme Tier jetzt schon leid tat.
Recke blickte den beiden, als sie sich entfernten, nach, bis sie hinter den Büschen verschwunden waren. Er steckte seine Pfeife, die ihm erloschen war, wieder in Brand und brummte vor sich hin: »Wenn das wahr wird, was sich da abzeichnet, gibt es noch ein Drama auf Aarfeld. Nur gut, daß man weiß, auf wessen Seite man zu stehen hat.«
Dann drehte er sich um und schritt in entgegengesetzter Richtung davon, um die Wildwechsel zu erreichen, von denen er wußte, daß er dort am ehesten den vom Baron erwünschten kapitalen Bock aufspüren würde.
Eine dringende Angelegenheit hinderte Pedro von Aarfeld daran, nach der erfolgreichen Jagd am Sonntag Marianne Klett selbst mit dem Wagen in die Stadt zurückzubringen. Dazu mußte also Lulatsch eingeteilt werden, den ein Führerschein dazu befähigte, als Chauffeur einzuspringen. Er lieferte Marianne vor ihrer Haustür ab, wendete den Wagen und fuhr sofort nach Aarfeld zurück.
Beschwingt, noch ganz im Banne der Erlebnisse, die hinter ihr lagen, glücklich und in seliger Stimmung, stieg Marianne leise summend die Stufen zu ihrem Zimmer hinauf und kramte in ihrer Handtasche nach dem Schlüssel, um aufzusperren, als sie von innen eine wohlbekannte Stimme hörte: »Komm nur rein, es ist offen. Ich erwarte dich schon seit Stunden.«
Ein eisiger Schreck durchfuhr sie. Sie lehnte sich an die Flurwand und sammelte ein bißchen Kraft, ehe sie sich stark genug fühlte, die Tür aufzudrücken und in das Zimmer zu treten. Mit starren Augen sah sie den Besucher an.
»Siegurd …«
»Ja, ich bin's«, sagte der junge Baron und winkte in seinem Sessel zur Begrüßung lässig mit der Hand. »Ich wundere mich, daß dir mein Name überhaupt noch geläufig ist. Hatte schon damit gerechnet, gar nicht
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