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Auch das Paradies wirft Schatten

Auch das Paradies wirft Schatten

Titel: Auch das Paradies wirft Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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flach – und plötzlich stand Marianne, als sie hinter einem Busch hervortrat, vor einem kleinen Holzhaus mit grünen Läden, das nahe an den See herangebaut worden war. Ein Bootssteg führte ins Wasser. Das Boot selbst lag kieloben auf dem schmalen Streifen zwischen Haus und See.
    »Das Geheimnis«, sagte Pedro von Aarfeld, mit einer kreisenden Handbewegung auf die ganze Idylle weisend. »Was Sie hier sehen, Fräulein Klett, ist niemandem bekannt, meinem Bruder nicht, der Freiin von Bahrenhof nicht, Dr. Faber nicht – keinem, außer Recke. Sie sind die erste, der ich es zeige. Es handelt sich um das Atelier des Malers Ralf Torren.«
    »Der Ort«, fragte sie ihn, »wohin Sie oft spurlos verschwinden?«
    Und da er nickte, trat sie an das Häuschen heran und strich mit der Hand über das harte, rissige, dringend wieder eines Anstrichs bedürftige Holz.
    »Ein Ort des Glücks«, sagte sie dabei. »Wie unverstanden von seinen Nächsten muß einer sein, den es in solche Einsamkeit treibt.«
    Er stand hinter ihr. »Sagen Sie das nicht, Marianne. Hier fühle ich mich wohl. Gut Aarfeld ist meine Welt der Arbeit, das hier meine Welt des Glücks, des Künstlers – wenn ich mich einen solchen nennen darf. Hier sitze ich Stunden um Stunden und male: das Reh, den Hirsch, die Bäume um mich herum, die Nebel, die aus dem See steigen, die Schatten der Dämmerung, den Regenbogen, der sich über die Wälder spannt, den Fuchs, den Igel im Kampf mit einer Otter, das Eichhörnchen, das Zapfen knabbert, die Wildgänse, wenn sie gen Süden ziehen oder zurückkommen nach Norden. Ich male sie alle, die meine Freunde geworden sind, doch am meisten beschäftigt mich immer wieder mein Hauptmotiv: ›Das schlafende Mädchen‹.«
    Er drehte den Schlüssel im Schloß und stieß die Tür des Häuschens weit auf. Ein Geruch nach Farben, Terpentin, Leinwand und Leim strömte ihnen entgegen. Rasch war Pedro bei den Fenstern, öffnete sie und ließ frische Luft und helles Tageslicht in den einzigen großen Raum der Hütte hereinquellen.
    Links in der Ecke standen eine einfache Couch, ein Tisch und zwei Flechtsessel. Am hinteren Fenster befand sich die große Staffelei mit dem Farbenkasten. Die Wände waren über und über behängt mit den Gemälden Ralf Torrens. Den einzigen Gegenstand des Komforts, der vorhanden war, bildete ein guter Teppich. Er bedeckte einen großen Teil des roh gedielten Bodens. Ein alter Küchenschrank in der rechten vorderen Ecke und ein wackliger Herd daneben vervollständigten die Ausstattung des Raumes.
    Marianne ging von Bild zu Bild und betrachtete jedes. Im Grunde wiederholten sich die Motive oft, waren aber immer abgewandelt. Derselbe Fleck Erde mit verschiedenen Gesichtern – bei Regen, Gewitter, bei strahlender Sonne, unter Schnee, im Nebel. Marianne staunte über die Vielfalt der Natur und die Könnerschaft, mit der Pedro sie eingefangen hatte.
    Was sie dachte und empfand, sammelte sich alles in einem einzigen Wort, das sich endlich ihrem Inneren entrang: »Herrlich!«
    »Ich freue mich, daß Ihnen die Bilder gefallen«, sagte Pedro schlicht.
    »Was heißt ›gefallen‹? Ich bin begeistert, hingerissen! Wie machen Sie das nur?«
    Er stand hinter ihr und antwortete: »Man muß die Stimme der Natur hören. Man muß ihr Antwort geben können aus der Seele heraus, denn fast alles, was wir sehen, ist irgendwie beseelt, hat Leben. Und man erschließt das Zauberreich jeder Seele nur, wenn man ihr mit offenem Herzen entgegentritt.«
    Halb unbewußt strich er Marianne von hinten über das kastanienbraune Haar, von dem das Chiffontuch geglitten war. Das Mädchen fuhr unter der Berührung seiner Hand zusammen, und sofort trat er einen Schritt zurück und schlug einen Imbiß vor – wahrscheinlich, um sie sein keckes Tun vergessen zu lassen.
    Marianne bedauerte beides: ihr Zusammenfahren und seine überstürzte Reaktion darauf.
    »Haben Sie denn hier Vorräte, Herr Baron?« fragte sie ihn.
    »Bitte«, sagte er, »lassen Sie endlich den Baron weg.«
    Sie sah ihn mit großen Augen an. »Aber ich kann Sie doch nicht Pedro nennen …«
    »Warum nicht?«
    »Nein, unmöglich!«
    »Und wenn ich Sie Marianne nenne?«
    »Auch dann nicht, der Unterschied ist zu groß.«
    »Wissen Sie was?« meinte Pedro von Aarfeld nach kurzer Überlegung. »Nennen Sie mich Ralf.«
    »Ralf?«
    »Ja, das ginge doch. Ich fühle mich hier als Ralf Torren. Alles um uns herum zeugt nur von Ralf Torren. Oder gefällt Ihnen der Name nicht?«
    »Doch, aber

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