Auch dein Tod ändert nichts (German Edition)
Ende.
Sie ziehen ab und lassen mich allein im Haus zurück. Es macht mir nichts aus. Ich wäre vielleicht mit Cal losgezogen, doch der ist anderweitig beschäftigt. Außerdem bin ich pleite. Mein ganzes Taschengeld habe ich ausgegeben, und mein Sommerjob hat noch nicht richtig angefangen – jedenfalls habe ich noch kein Geld bekommen. Ich räume Marthas Zimmer auf und öffne dasFenster weit. Die Flaschen bringe ich nach unten in den Glascontainer und lege andere darüber, damit Mum sie nicht bemerkt.
Ich habe das Haus gerne für mich alleine. Als ich noch ein Kind war, hab ich da ewig rumgehangen, bin in die Zimmer gegangen, habe in den Schubladen gewühlt und versucht, das vom Leben der Leute herauszufinden, was sie vor mir geheim hielten.
Meistens aber habe ich nach meinem Dad gesucht.
Er war bei der Armee. Als ich drei war, ist er eines Tages mit einem Armeerucksack, der größer war als ich, auf eine Übung gegangen und nie wieder zurückgekommen. Getötet bei einem Unfall mit scharfer Munition. Ein Unfall. Ich weiß nicht mehr viel von der Zeit, als es passiert ist. Ich erinnere mich an kaum etwas von ihm. Nur, dass ich ihn immer aus einem eigenartigen Grund mit dem Kleiderschrank in Verbindung bringe. In dem hob Mum seine Ausgehuniform auf. Ich erinnere mich daran, dass ich, nachdem es passiert war, in den Schrank geklettert bin und die Uniform sah, die dort in Plastik gehüllt hing. Das hat mich zu Tode erschreckt. Ich dachte, es wäre ein Geist. Vielleicht lässt mich deshalb der Kleiderschrank an ihn denken. Die Uniformmütze lag oben auf dem Schrank in einer Schachtel. Es war mir verboten worden, sie jemals anzufassen. Ich fragte mich immer, ob darin wohl sein Kopf aufgehoben wurde.
Jahre später hat Mum alles entsorgt. In ihrem Zimmer gibt es jetzt keine Spur mehr von ihm – außer den Orden, die er im ersten Golfkrieg erhalten hat. Die verwahrt sie in ihrem Schmuckkästchen.
Rob hat sie oft getragen und ist damit durchs Haus gestapft. Er hat sich besser an Dad erinnert als ich. Immer wieder hat er mirGeschichten von ihm erzählt, von den Schlachten, in denen er gekämpft, den Gefechten, die er miterlebt hat. Ich habe jedes Wort geglaubt, bis ich anfing, selbst Filme anzugucken und Bücher zu lesen. Rob hatte Dad jede Heldenrolle angedichtet, die er in einem Buch gelesen oder in einem Film gesehen hatte. Das war der erste Riss in meiner Heldenverehrung. Ich konnte mir nicht erklären, warum er das tat. Irgendwann, früher oder später, würde ich es herausfinden.
Mein Bruder wurde Soldat, sobald er alt genug war, und folgte damit einer alten Familientradition. Großvater, Dad und jetzt Rob. Sein Zimmer hat sich nicht groß verändert, seitdem er zu seinem Regiment eingerückt ist. Die Wände sind immer noch gepflastert mit Army-Plakaten, Bildern von leicht bekleideten Mädchen in Armeeklamotten, Girls Aloud und Bildern von verschiedenen Schusswaffen, zerstört und aufgehäuft. Da gibt es Bilder von ihm und seinen Kameraden. Jedes Mal, wenn er nach einer Beförderung nach Hause kam, wurden neue aufgehängt. Darauf sehen immer alle gleich aus, wo auch immer auf der Welt. Ein Haufen Jungs steht in Kampfanzügen herum, sie posieren mit ihren Wiley- X-Sonnenbrillen , halten ihre Kanonen, Patronengurte umgehängt, tun schwer beschäftigt. Das, oder sie sind auf Urlaub in einer Bar in Zypern oder sonst wo, in Shorts und T-Shirts oder mit bloßer Brust, besoffen und schwitzend, blicken aus roten Augen und haben die Arme umeinandergelegt oder halten eine Flasche, ein Glas oder ein Mädchen. Bei einigen Fotos ist die Farbe verblasst und die Ecken wellen sich, andere sind von der Wand gefallen. Ich hatte gedacht, Mum würde sofort nach seinem Auszug mit Stehleiter und Papierkratzer anrücken, aber so war es nicht. Sie ließ alles, wie es war. Vielleichthoffte sie insgeheim, dass er zurückkommt. Darauf besteht wohl herzlich wenig Aussicht.
Nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus hat er hier gewohnt, doch nur für kurze Zeit. Zu Hause zu sein ging ihm auf die Nerven. Er konnte es nicht ertragen, welchen Wirbel Mum um ihn machte. Dabei ging es nicht um das Bein und die Hilfe, die er brauchte. Es ging um die Albträume. Mitten in der Nacht brüllte er los, wachte schreiend auf. Er wollte nicht, dass wir es hören. Wollte nicht schwach und verletzlich wirken. Und er wollte nicht, dass wir das mitbekamen. Er wollte nicht, dass Mum hereinkam und versuchte, ihn zu trösten, als wäre er ein kleiner Junge. Auch
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