Auch dein Tod ändert nichts (German Edition)
anders.
»Es ist nur, dass ich, hm, also, du weißt schon … «
»Dich erkundigt hast?«
Ich dachte, sie wäre vielleicht ärgerlich darüber, dass ich ihretwegen herumgefragt habe, doch sie lächelt stattdessen, als würde sie sich geschmeichelt fühlen, dass die Leute über sie reden, und sie macht sich nichts draus.
»Ja.« Ich grinse. »Ich glaube schon. Irgendjemand hat gesagt, du würdest auf unsere Schule kommen.«
»Das stimmt.«
»Und deshalb hab ich gedacht, ich würde dich vielleicht sehen … «
»Ich hab noch nicht damit angefangen. Habe ich auch nicht vor, ehe das neue Schuljahr anfängt. Vielleicht gehe ich aber auch gar nicht hin. Ich hasse Schulen.«
»Unsere ist ein Oberstufen-College.«
»Das macht keinen Unterschied.«
»Was willst du stattdessen machen?«, frage ich. Langsam scheinen wir wieder in sicheres Gewässer zu steuern. Zumindest redet sie wieder.
»Ach, ich weiß nicht … «
Sie streckt die Beine aus, sitzt da und schaut mich an. Um den Fußknöchel trägt sie ein dünnes Goldkettchen. In der zarten bläulichen Höhlung, wie der Schatten des Knöchels, sind Streifen, gerade kleine Striche, leicht erhöht wie ein Barcode auf der weißen Haut. Sie berührt die Stelle, als wollte sie sich dort kratzen, weil mein Blick ein Kitzeln ausgelöst hatte.
»Vielleicht reise ich herum«, sagt sie. »Oder ich gehe nach London und versuche, als Model zu arbeiten. Fahre nach Paris. Oder Berlin. Suche mir irgendeinen Job. In Sprachen bin ich ziemlich gut. Ich schnappe sie schnell auf.«
»Willst du nicht auf eine Uni?«
So denken wir zumindest alle. Überlegen uns nie, ob es auch andere Möglichkeiten gibt. Wie eine Herde von Schafen.
»Wer sagt denn, dass ich das nicht mache? Ich will einfach trotzdem weg, und ich will nicht hier auf die Uni. Ich will an die Sorbonne oder nach Tübingen.«
»Wo ist das?«
»Deutschland.« Sie sieht mich an, als wollte sie noch »Dummkopf« anfügen. »Ich möchte Politik studieren, aber im Ausland.«
Ich kenne niemanden, der vorhat, im Ausland zu studieren. Verglichen mit ihr wirken wir gewöhnlich, ohne Ehrgeiz und provinziell. Sie weiß etwas über Städte, von denen wir noch nie etwas gehört haben. Ich denke, sie fragt jetzt, was ich vorhabe, welche Universitäten ich ausgewählt hätte, so, wie es die meistenLeute machen. Doch sie fragt nichts. Stattdessen bemerkt sie: »Das mit der Stange da kannst du ziemlich gut.«
»Damit hab ich viel Übung. Seit ich vierzehn bin, arbeite ich hier. Sobald die Saison angefangen hat, bin ich fast jeden Abend hier und in den Ferien die meisten Tage.«
Wir nähern uns der Bootsstation. Ich vertäue den Kahn und helfe ihr auszusteigen.
»Die meisten Abende, ja?«, sagt sie, als sie meine Hand nimmt. »Das muss ich mir merken. Irgendwann treffe ich dich wieder«, fügt sie im Weggehen noch über die Schulter hinzu.
Warum habe ich nichts gesagt, um sie aufzuhalten? Warum habe ich sie nicht einfach nach ihrer Telefonnummer gefragt?
Ich sehe ihr nach.
Was bin ich doch für ein Trottel.
7
Perthro: eine Geheimsache
Älterer Futhark – Runenalphabet
Jamie Maguire. Da treffe ich ihn jahrelang nicht und dann gleich zweimal in wenigen Tagen. Die Macht des Zufalls, könnte man sagen. Oder einfach Schicksal. Aber es war nicht Schicksal, dass ich ihn angeheuert habe. Das Schicksal hat mich nicht dazu gebracht, mit ihm eine Bootstour zu machen.
Ich musste natürlich so tun, als wäre ich noch nie auf der Insel gewesen. Wäre noch nie über das Wehr gegangen. War es dann nicht seltsam, dass ich nach dem wackelnden Stein Ausschau gehalten habe? Gespenstisch! Als ob ich eine Hellseherin wäre. Ich musste so tun, als wäre ich nie in dem Schrebergarten gewesen, als hätte ich das niedliche kleine Landhaus nie gesehen, geschweige denn betreten. So tun, als würde ich Rob nicht kennen. Das kann ich nicht einmal so nebenbei erwähnen. Es würde alles zu kompliziert machen, und ich mag es nicht kompliziert.
Und dann ist da Marthas Geburtstag. Was hat ihn dazu gebracht, damit anzukommen? Das frage ich mich. Vielleicht ist er der Hellseher.
Ob ich mich erinnere? Natürlich erinnere ich mich. Marthas fünfzehnter. Ich war vierzehn. Ich bin rund ein Jahr jünger als sie. Es ist ein scheußliches Alter für Geburtstage. Zu jung, um richtig auszugehen,
zu alt für Wackelpudding und Eis. Wir sind alle Pizza essen gegangen, dann ins Kino und danach wieder zu ihr nach Hause.
Ich erinnere mich genau. Ich habe ein
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