Auch dein Tod ändert nichts (German Edition)
Ferienhäuser. Davon sind nur wenige übrig geblieben.
»Eines davon gehört meinem Großvater«, sage ich.
»Die sind ja richtig niedlich.« Sie schaut über den Rand ihrer Sonnenbrille. »Wie Sommerhäuser oder so was. Können wir uns das mal ansehen?«
Ich zucke zum Einverständnis mit den Schultern und steuereden Stocherkahn zu einer kleinen Anlegestelle, wo ich ihn festbinde. Dann spazieren wir durch die Schrebergärten. Ich gehe voraus, trete das Gras nieder und schiebe Brombeerranken zur Seite. Es ist hier alles ein bisschen verwildert. Einige der Gärten werden gar nicht mehr gepflegt. Unten am Fluss werden sie doch immer wieder überflutet. Sie geht hinter mir her, pflückt Himbeeren und saugt das warme weiche Fruchtfleisch ein.
Ich taste an der Stelle herum, wo der Schlüssel versteckt ist, und schließe auf. Innen ist es warm, stickig. Ich klemme die Tür so fest, dass sie offen bleibt, um etwas Luft herein und den typischen Geruch der Hütte rausziehen zu lassen: eine Mixtur aus Saatgut, Düngemitteln, Unkrautvernichter mit einem Unterton von berauschendem, stechendem, bittersüßem Rauch.
Sie rümpft die Nase. »Rieche ich da vielleicht Cannabis?«, fragt sie und lächelt.
»Ja, schon.« Ich lächele zurück. »Mein Bruder. Er benutzt die Hütte als Trockenlager. Er hat hier lauter kleine Anpflanzungen von dem Zeug, versteckt hinten im Obstgarten und in Gärten, die nicht mehr gepflegt werden.« Federartige Wedel wachsen hinter geriffelten Eisenumzäunungen in verlassenen Schrebergärten, große Pflanzen schieben sich durch die Nesseln und Ranken unten am Fluss. »Den Samen hat er von der vorletzten Tour aus Afghanistan mitgebracht.«
»Ach ja. Er ist bei der Army, stimmt’s?«
»Früher mal. Er ist ausgemustert worden.«
»Das hab ich gehört. Was genau ist denn passiert?«
»Er ist von einer selbst gebauten Bombe am Straßenrand erwischt worden. Sein Bein war ziemlich zertrümmert. Ich denke, er braucht das Gras aus medizinischen Gründen.«
Sie nickt, während sie zuhört. Die meisten Menschen zeigen Erschrecken oder Mitgefühl. Sie ist nicht so wie die meisten.
»Jetzt geht es ihm mehr oder weniger wieder gut«, füge ich hinzu, als hätte sie gefragt.
Sein Bein war nicht das Einzige, was beschädigt worden war, doch darauf gehe ich nicht ein. Da ist eine Stelle, die erst kürzlich bearbeitet worden ist. Von Unkraut befreit, frisch umgegraben. Das muss schwierig für ihn gewesen sein. Ich wäre gekommen, ihm zur Hand gegangen. Wir haben meistens zusammen im Schrebergarten gearbeitet, dem alten Mann geholfen, aber die Zeiten haben sich geändert. Damals war ich immer im Weg und habe das Falsche gemacht. Habe nur gestört. Jetzt braucht er meine Hilfe, aber er hat verlernt zu fragen. So ist es einfach.
Die Hütte ist wie eine Zeitkapsel. Da sind die Bücher, an die ich vorhin denken musste, und gegen die Wand gelehnt steht die Tischtennisplatte, die wir einem Typ abgebettelt haben, der sie auf den Müll werfen wollte. Da stehen ein altes Sofa und ein zerlemperter Korbstuhl, dessen eingerissener Sitz von einem verblassten Kissen bedeckt wird. Daneben eine Anzahl leerer Flaschen. In der Ecke zur Pyramide aufgesetzte Bierdosen. Eine andere Art von Entspannung. Ich schaue wieder nach draußen. Das Tageslicht ist in Abendrot übergegangen.
»Wir müssen gehen«, sage ich zu ihr. »Alan wird bald Suchtrupps losschicken. Er wird denken, wir sind über das Wehr gestürzt. Es ist allerdings mehr das Boot, um das er sich Sorgen macht, nicht wir. Stocherkähne sind sehr teuer. Schwer zu ersetzen.«
Ich lasse sie wieder im Kahn Platz nehmen und stochere uns zurück zur Bootsstation. Sie geht auf Abstand zu mir. Ich weiß nicht, was hinter ihrer Sonnenbrille abläuft. Wir sind wiederStocherkahnfahrer und Fahrgast. Der Augenblick unter den Weiden hätte nie passiert sein können, er treibt davon wie das Wasser unter dem Boden des Kahns.
»Ich hab gedacht, ich würde dich vielleicht sehen«, sage ich und stoße die Stange ins Wasser. »In der Schule, meine ich. Ich hab gehört, dass du dahin wechselst.«
»Wo hast du das gehört?«, fragt sie und ist plötzlich auf der Hut.
»Oh, hm.« Ich merke, dass das ein Fehler war. Ein bisschen zu spät. »Martha. Warst du nicht mal mit ihr befreundet?«
»Wie kommst du da drauf?«
»Du warst auf einem Geburtstag von ihr. Erinnerst du dich nicht?«
Sie gibt keine Antwort, starrt einfach ins Wasser. Der Abstand zwischen uns wird größer. Ich versuche es
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