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Auch Deutsche unter den Opfern

Auch Deutsche unter den Opfern

Titel: Auch Deutsche unter den Opfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benjamin Stuckrad-Barre
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klangen auch weniger läppisch, einige Lieder haben bis heute überlebt, Grönemeyers Texte handelten nicht mehr von frischen Brötchen. Wie warme Semmeln verkauften sich die Platten trotzdem noch nicht.
    Vor dem ersten großen Erfolg also: Junge Männer, fast noch Jungs, die hörbar gern singen. So ganz haben sie den Bogen, damit auch ihre späteren Manierismen, noch nicht raus. Hat das Charme? Natürlich, klar, Charme hat es, Charme und Scham halten sich die Waage.
    »Draußen ist es grau / Ich sitz mit dir hier blau« – das war, wie sagt man, eine Ansage. Westernhagens »Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz« brachte ihm 1978 völlig zurecht den großen Ruhm. Gegen diese Platte waren die vorangegangenen zielloses Gehampel, jetzt stand er da, sauber zuendegedacht, in Jeans und Lederjacke, mit einer Flasche Rum in der Hand, im Hintergrund das ganz klassische Kneipenpersonal (eine scharfe Blondine mit Kippe im Maul, ein Geschäftsmann am Münzfernsprecher, ein wanstiger Biertrinker). Mit diesem Typ, das war klar, wollte man durch die Nacht toben. Er sang über Hehler, Nutten, Suff, Spießer, Denunzianten – und er sang, wie es sich für geniale Frühwerke gehört, ein Lied, das ihm heutzutage übel in die Quere kommt; »Mit 18« heißt es, und darin singt Westernhagen prophetisch luzid über das Dilemma seines Spätwerks: »Jetzt sitz ich hier, bin etabliert / Und schreib auf teurem Papier (…) Ich möcht’ zurück auf die Straße / Möcht’ wieder singen, nicht schön, sondern geil und laut.« Damals war er genau das: geil und laut. Und alle grölten mit. Heute singt er schön. Das (und übrigens nicht: das teure Papier) ist das Problem.
    Grönemeyers erster Hit kam noch überraschender, pointierter: Nach den ersten vier Versuchen hatte seine Plattenfirma aufgegeben und den Vertrag nicht verlängert, auch der Konzertveranstalter Fritz Rau sah keine Zukunft mehr für diesen Sänger – und dann kam 1984, mit neuem Tourneeveranstalter, bei einer neuen Plattenfirma (die bis heute dieselbegeblieben ist): »Bochum«. Grönemeyer sang über »Männer«, »Alkohol«, »Amerika« und »Flugzeuge im Bauch«. Zehn Lieder, zehn Hits – bis heute eine seiner besten Platten. Auf dem Cover stand der Name seines zwar nicht Geburts-, doch aber Heimatorts Bochum, mit Postleitzahl, das war frech und ist bis heute schön.
    Und damit es jetzt nicht sehr langweilig wird, soll nicht die ja ausreichend bekannte Erfolgsgeschichte beider Sänger nacherzählt werden. Stattdessen ein kurzes Bekenntnis, zum Verständnis, ich muss das hier einflechten und auch ausdrücklich ICH sagen, da die gängige Reaktion von Freunden oder Nachbarn auf heutiges lautes Aufdrehen alter Platten der beiden hier behandelten Herren zwischen Entsetzen und Unverständnis oszilliert: »Was willst du denn mit denen?«
    Tja, was will ich mit denen?
    Nun, zu wollen gibt es da nichts, diese Lieder, die ganz alten zumal, haben mich in einer Phase angeweht, auf die ich keinen ändernden Zugriff mehr habe. Nennen wir sie der Einfachheit halber: Pubertät. In diesem schönen Alter hat Musik zuallererst eine Funktion zu erfüllen. Man ist da eben gottlob kein Musikhistoriker, der zum Beispiel eine Westernhagen-Platte grundsätzlich verschmäht: Ist doch ein billiger Stones-Abklatsch. Oder eine Stones-Platte: Ist doch alles von Chuck Berry geklaut. Das alles ist dem 14-Jährigen komplett wurscht. Auch die Neunmalklugen, die völlig zurecht einwenden, Ende der 80er Jahre gab es doch dies und das, da war man doch so und so, wenn man Deutschrock gehört hat – auch die sollen sich zum Teufel scheren. Das Schöne an dieser frühen Unbedarftheit ist doch gerade, dass man so wenig weiß und das Erstbeste für das Größte zu halten in der Lage ist. Heute 13-Jährige sind herzlich eingeladen, in 20 Jahren die Wirkgeschichte von Tomte oder Kettcar zu referieren. Ich habe zwischen Kindheit und Erwachsensein gerne Westernhagen und Grönemeyer gehört, punktaus. Schon damals wurde man dafür ausgelacht, natürlich, aber das war gutes Training. Und so habe ich diese Platten naheliegenderweise zumeist allein gehört,immer wieder, ich hatte die Textblätter auf den Knien liegen, habe den Kram auswendig gelernt, und zum Glück ist in einem normalen Kopf viel Platz, sonst würde ich mich vielleicht dann und wann ärgern, dass ich alle Lieder von Westernhagen und Grönemeyer bis etwa 1990 auch heute noch ausnahmslos aufsagen kann.
    Die Musik? Schwer zu sagen. Was für Musik ist das

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