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Auch Deutsche unter den Opfern

Auch Deutsche unter den Opfern

Titel: Auch Deutsche unter den Opfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benjamin Stuckrad-Barre
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seiner ganz frühen Platten aufsagen! Auf denen hat er einst viele Fremdtexte eingesungen, logisch, dass er die heute nicht mehr im Ganzen parat hat, aber für mich waren es immer Grönemeyer-Lieder, und die habe ich als Kind so oft gehört, dass ich sie bis heute lückenlos auswendig hersagen kann. Also, Herbert, los – in welchem deiner Lieder kommt die Schweiz vor? Keine Ahnung, sagt er, Schweiz? Weiß er nicht, ist ihm auch herzlich wurscht. Das hatte ich gehofft, und los geht’s: »Wir woll’n vom Ruhrpott nach Wien / Eine Fahrt in die Schweiz / hätte auch seinen Reiz …« Na? »Stau«, das erste Lied aufdeiner Platte »Zwo«. Ach Gott, dieses alte Zeug, warum kennst du das denn, fragt Grönemeyer belustigt und einen Tick mitleidig.
    Frühjahr 2004, Hamburg: auf einem Sofa zuhause bei Westernhagen. Er arbeitet gerade an einer neuen Platte, die ein Jahr später erscheinen, »Nahaufnahme« heißen und kein großer Erfolg werden wird. Was ich immer mit diesen Uraltsachen wolle, fragt er nett über den Rand der Espressotasse, es ehre ihn ja, dass ich die so im Kopf habe, aber die neuen Sachen hätten eine ganz andere Qualität und so weiter. Mag alles sein, aber ich möchte doch so gern ein bisschen mit ihm genau dieses alte Zeug singen oder zumindest die Texte aufsagen und mir die Geschichten dazu anhören. Lieber Marius, die neue Platte wird bestimmt prima, aber sei bitte nicht nervös deshalb, du bist immerhin der Autor zum Beispiel dieser Zeilen: »Marion aus Pinneberg, du fährst jeden Samstag in die Stadt zum Tanzen / Du ziehst die engsten Hosen an, klebst Wimpern, du musst nicht zu Firma Franzen«. Der Autor dieser Zeilen muss doch niemandem mehr irgendwas beweisen, Marius! Eine nette Geschichte erzählt er dann zu einer älteren Platte, also, die Band habe im Studio derart schnell gespielt, dass er mit dem Singen kaum hinterhergekommen sei. Erst später habe er erfahren, dass außer ihm alle im Studio bis zur Schädeldecke abgefüllt waren mit vorderhand beschleunigenden Betäubungsmitteln, er sei in dieser Hinsicht immer sehr naiv gewesen, habe da nie mitgemacht. Solche Geschichten möchte man doch hören! Und es ist zugleich klar, dass man sie nicht direkt bekommen wird. So freundlich beide im persönlichen Umgang sind, so kompliziert wird es, wenn man sie offiziell interviewt. Da wird dann alles sehr vorsichtig, langweilig, achtmal gegengelesen, umgeschrieben und zu Tode korrigiert. Das ist ihr gutes Recht, natürlich. Aber schade ist es. Trotzdem der Versuch, die Best-Of-Alben sind doch ein schöner Anlass, mal entspannt auf das Werk zurückzuschauen.
    Im Frühjahr 1998, zur Veröffentlichung von »Bleibt alles anders«, interviewten mein alter Gefährte Arne Willander und ich in BerlinHerbert Grönemeyer. Der, wenn er schon mal das Haus verlässt, immer top ausgerüstete Willander hatte im Hamburger Bahnhofsdrogeriemarkt extra noch die allererste Grönemeyer-CD gekauft, und Grönemeyer hat uns dann im Hotel Adlon schwungvoll erzählt, wie »relativ unerträglich« er diese Platte mittlerweile fände, dass er das Cover zum ersten Mal gesehen habe, als er die fertige Platte in der Hand hielt – und auf seine Beschwerde hin, das sehe ja scheußlich aus, orange, gelb, dazu dieses Zivildienstleistendenfoto von ihm, habe ihm die Plattenfirma erklärt, nein, ganz im Gegenteil, das seien Sonderfarben. Sonderfarben!
    So unterschiedlich ihre aktuelle Beliebtheit auch sein mag, über die Jahrzehnte haben doch Grönemeyer und Westernhagen so viel Großes und logischerweise auch manch Nichtiges in die Welt gestellt, anders geht es doch gar nicht, kann man das jetzt nichtmal, mit der Distanz der Jahre, gelassen auffächern, bisschen stolz, bisschen selbstironisch? Wäre es nicht schön, mit einem Karton Gesamtwerk sich mit beiden (natürlich nicht zusammen!) hinzusetzen und es Platte für Platte mal durchzugehen? Was war und bleibt groß, was waren die Irrtümer, wofür schämt man sich heute, woran kann man sich gar nicht mehr erinnern?
    Nein. Anfragen in dieser Richtung werden umgehend abschlägig beschieden, von beiden.
    »Herbert geht nur zu ›Wetten dass . . ?‹.«
    »Marius gibt nur ein Interview, und zwar der ›Bild‹-Zeitung.«
    Bei Grönemeyer hat es gar keinen Zweck zu betteln, er hat ein perfekt organisiertes Abschirmsystem um sich herum installiert, das zu respektieren man gut beraten ist. Ich probierte es im Falle Westernhagens aber noch mal bei besagter Gaby. Als sie mich zurückrief, stand

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