Auch Deutsche unter den Opfern
ich gerade im Berliner Zoo und beobachtete am Gehege des Eisbären Knut die Kranzniederlegungen der um den verstorbenen Eisbärenpfleger Thomas Dörflein trauernden Berliner, eine einigermaßen groteske Telefonierumgebung also. Nein, sagte Gaby, schade, aber aus diesemInterview-Plan werde nichts. Es habe ein Gespräch mit einer Illustrierten gegeben, das so blöd verlaufen sei, dass man es zurückgezogen habe und nun überhaupt gar nichts mehr mache, bis auf eine Serie in der »Bild«-Zeitung.
Ja, aber, sagte ich, liebe Gaby: Und glaub an mich, Schatz, wenn ich in die Saiten dresche …
Wie bitte?, fragte Gaby.
Ich zitierte weiter: »Ich sing’ den Blues, und du machst die Wäsche.«
Was denn das jetzt heißen solle, fragte Gaby, und wo ich mich überhaupt gerade befände, da seien hintergrundwärts so komische Geräusche zu hören.
Nun, sagte ich, ich stehe am Gehege des Eisbären Knut – und das eben war der riesige Marius-Text »Geiler is’ schon«.
Ob es mir aber ansonsten gut gehe, fragte Gaby irritiert.
»Keine Ahnung, keine Meinung, kein Konzept / Keine Lust, um aufzustehen«, hätte ich jetzt das leider sehr dämliche Westernhagen-Lied »Es geht mir gut« zitieren können. Aber wozu? Wenn nichtmal »Geiler is’ schon« als bekannt vorausgesetzt werden kann, erübrigt sich der Rest.
Weil sie klugerweise nicht jeden Klimbim mitmachen, gelten Westernhagen und Grönemeyer hier und da als »schwierig«. Das ist Unsinn, und ein bisschen ist es doch auch wahr. Sie sind einen anderen Weg gegangen als beispielsweise Udo Lindenberg, der immerzu und mit jedem spricht, dessen Handynummer praktisch jeder dritte Deutsche besitzt, und der alle Vor- und Nachteile dieses permanenten Basiskontakts mit Wonne erträgt.
Schön, also allein hinsetzen mit zwei Kartons aller CDs, DVDs und Bücher von, mit und über Westernhagen und Grönemeyer. Werk, sprich! Mal der Reihe nach:
Die erfolglosen Anfänge, das vergurkte Frühwerk – linear verlaufende Erfolgsgeschichten bieten den Vorteil, dass der Künstler später gütig lächelnd zurückschauen und kokett seine Fehltritte eingestehen kann:Seht mal, ich war nicht immer schon gut und erfolgreich. Aber ich habe mich durchgebissen. Vor zehn flipperspielenden, saufenden, buhenden Leuten gespielt, Flop-Platten aufgenommen, von keinem Radiosender gespielt, in der Jugendherberge gepennt. Doch dann, »über Nacht« – und eben auch nicht über Nacht, alles hart erarbeitet und so weiter.
Westernhagen hatte drei, Grönemeyer sogar vier erfolglose Alben in die Welt gestellt, bevor dann das kam, was allgemein Durchbruch genannt wird. »Das erste Mal«, Westernhagens Debüt-Platte aus dem Jahr 1975, ist – heute gehört – nicht gar so blamabel wie »Grönemeyer«, die erste Herbert-Platte (eben jene sonderfarbene), die 1979 herauskam. Westernhagen steht mit etwa bis zur Brust hochgezogener weißer Hose und weißem T-Shirt da auf seinem ersten Cover herum, die Hände hinterm Rücken versteckt, Jungfrau durch und durch. Beinahe alle Kompositionen auf dieser Platte stammen von ihm, rührende Liedchen, eins über den Papa, eins über die Mama – aber hier und da blitzt schon etwas auf, der Großstadt-Cowboy, Held seiner späteren besten Lieder, ist in Umrissen erkennbar. Es muss gesagt werden, gegen das Bild an, das Westernhagen heutzutage öffentlich von sich entwirft: Er hatte Humor. Er war lässig. Sexy sowieso.
Grönemeyer hat seine erste Platte mittlerweile leider »vom Markt nehmen lassen«, man bekommt sie nur noch im Gebrauchthandel. Es steckt ordentlich Power in dieser Formulierung »etwas vom Markt nehmen«, das klingt und ist mächtig, überhaupt ist Grönemeyer neben allem anderen ein großer Vom-Markt-Nehmer, dazu später mehr. Nicht nur das Cover missfällt ihm heute, auch die Lieder dieser ersten Platte, und das versteht man gut. Eigentlich, erzählt er heute, habe er da eine völlig fremde Platte aufgenommen, die meisten Kompositionen waren von zwei Herren erdacht, die später folgerichtig als Autoren für den Schlager-Grand-Prix auffällig wurden. Über seinen ersten eigenen deutschen Liedtext lacht Grönemeyer heute bereitwillig, erzählt auch gern, wie ihn seine Kinder zuhause manchmal mit Zitaten dieses dürftigen ersten Versuchs foltern: »Guten Morgen, Herr Bäcker, frische Brötchen!« –lachender Grönemeyer. Er wurde dann nicht schlagartig, aber stetig besser, die Platten »Total egal« und »Gemischte Gefühle« sahen nicht nur hübscher aus, sie
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