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Auch Deutsche unter den Opfern

Auch Deutsche unter den Opfern

Titel: Auch Deutsche unter den Opfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benjamin Stuckrad-Barre
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Bier.«
    Die Frage, die nun durch den Saal funkt, lautet: Werden beide zurücktreten, Steinmeier und Müntefering? Dramatisch, dramatisch, tönt es allseits aus Mündern und Lautsprechern – stärkste Verluste und niedrigster Wert aller Zeiten. Und dann wird auch die letzte Ausrede der SPD zunichtegemacht, Schwarz-Gelb scheint sogar ohne Überhangmandate eine Mehrheit zu haben, meldet das ZDF. Aber es muss ja weitergehen: Jusos in roten T-Shirts (Aufdruck: »Gemeinsam mehr«) reihen sich zu einem Spalier und versuchen, die vielgesuchte Stimmung herzustellen, gut soll sie sein, warum auch immer. Um kurz nach halb sieben gehen Steinmeier und Müntefering das T-Shirt-Spalier entlang zur Bühne, sie lächeln, die Jusos klatschen. Tapferer Applaus jetzt im ganzen Saal, tapferes Winken auf der Bühne. Politiker zu sein, heißt, sich permanent zu verstellen, und in diesem Moment erreicht die Verstellungskunst wohl ihren Höhepunkt. Am Bühnenrand steht Steinmeiers Ehefrau und ist auch sehr gut gelaunt. Steinmeier selbst spricht von bitterem Tag und bitterer Niederlage – und lächelt. »Ihr seid die Zukunft unserer Partei, macht bitte weiter so!«, ruft er den rhythmisch klatschenden Jusos in ihren roten T-Shirts zu, während andernorts die Juso-Vorsitzende Franziska Drohsel zu Protokoll gibt, »ein ›Weiter so‹ kann es nicht geben«. Doch dass diese trostlose Formelsprache selbst von der Parteijugend übernommen wird, ist ein Hinweis darauf, dass es ganz gemütlich genau so weitergeht bei der SPD, und die angekündigten »radikalen Korrekturen« dürften sich in einigen Personal-Rochaden erschöpfen – Nahles, Wowereit und Gabriel hätten Zeit.
    Während Steinmeier redet und Müntefering neben ihm seltsam weggetreten vor sich hin starrt, werden erste Indiskretionen aus der Präsidiumssitzung herumgeflüstert: Es habe, durchaus ungewöhnlich für die SPD, keine Schreierei gegeben, Steinmeier habe konsterniert auf die ersten Prognosen reagiert, Verstörung im ganzen Präsidium – der einzige, der nervtötend gute Laune demonstriert habe, sei Sigmar Gabriel gewesen. Den Posten des Fraktionsvorsitzenden habe Steinmeier niemand streitig gemacht, sogar Andrea Nahles habe sich für ihn ausgesprochen;Müntefering hingegen sei nur deshalb nicht sofort vom Parteivorsitz zurückgetreten, weil man sich nicht direkt auf einen Nachfolger habe einigen können.
    Als Steinmeier und Müntefering die Bühne verlassen, steht am Bühnenrand Peter Struck, gibt beiden die Hand, blickt dann melancholisch ins Leere; es war seine letzte Wahl, er geht jetzt in Rente. Der SPD-Veteran eilt herbei und bittet um ein Autogramm in sein Parteibuch. »Guck mal, wen ich alles schon habe«, krakeelt er, aber Struck möchte jetzt keine Autogrammsammlung begutachten, Struck möchte seine Ruhe: »Ja, komm, ist gut jetzt.« Doch schon flammt ein Scheinwerfer auf, und ein Fernsehjournalist fragt Struck, wie jetzt eigentlich die Stimmung in der SPD sei.

[ Inhalt ]
    Zwischenzeit
    Ich würde ja so gern – aber ich muss zum Zahnarzt. Oben links: ein Klopfschmerz. Was das ist? Klopfschmerz ist, wenn ein Zahn nur beim Kauen oder wenn er gerade will schmerzt, genau im Zahnarztstuhl dann nicht will, und der Zahnarzt mit einem kleinen Hammer die Zähne abklopft, um rauszufinden, welcher Zahn gemeint ist; wenn man Aua schreit, hat er ihn gefunden. Das ist Klopfschmerz.
    Bei meinem Zahnarzt kann man während der Behandlung auf einem an der Decke angebrachten Bildschirm Filme gucken, und in der letzten Woche habe ich so liegend etwa die Hälfte von »Vicky Cristina Barcelona« gesehen. Gestern ging ich wieder hin, der Zahnarzt fragte, ob ich nicht morgen, also heute dran sei, da holte ich triumphierend den Terminzettel aus meinem Portemonnaie – und sah, dass der Zahnarzt leider Recht hatte. Abends schlürfte ich Kürbissuppe am maladen Zahn vorbei und guckte Fußball, mein Kumpel Moritz kam zur zweiten Halbzeit dazu, er hatte zuvor in der Neuen Nationalgalerie Daniel Kehlmann aus seinem neuen Theaterstück vorlesen gehört, Albert Einstein spricht darin mit irgendwem, Höchstkultur, und mein Kumpel Moritz hatte einen totalen Lachanfall bekommen. Das Fußballspiel war ebenfalls ganz lustig, zwei verschossene Elfmeter, dazu »Analysen« von Franz Beckenbauer: Ja gut, äh. Beim Rückspiel wird dann alles anders.
    Rasch noch mal auf den Terminzettel gucken, heute also wirklich, und zwar gleich zwei Stunden lang diesmal, Klopfschmerzbehandlung zweiter Teil, ganz tief in

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