Auch Deutsche unter den Opfern
streichelt ihn.
Im »Café Ritter« sitzt Thomas Roth, der Regisseur des besagten Films »Verdammt, wir leben noch«, Kinostart ist pünktlich zum zehnten Todestag. Roth trägt Jogginghose, Vollbart, Brille – und schmunzelt. Der Friseur? Ach, der Friseur! Zu keinem Zeitpunkt habe man daran gedacht, den zu besetzen. Den Film darf man noch nicht sehen, das macht das Gespräch nicht leichter; Roth labert, es sei »gelungen, dem Mythos von Sex, Drugs und Rock ’n’ Roll sehr nah zu kommen«, und jetzt ahnt man, dass die Geheimnistuerei nicht grundlos ist, das klingt ja fürchterlich. Hans Mahr hatte den Film schon gesehen und sehr geschimpft, es werde darin nur Falcos ausschweifende, exzessive Seite gezeigt, nicht aber, dass und warum er ein so großer Künstler war. Wenn einer so viele Millionen Platten verkauft hat, müsse wohl irgendwas dran sein, mault Mahr. Soso, der Mahrhansi wolle ihn schon gesehen haben, den Film? Könne er gar nicht – behauptet Roth. »Schmarrn«, sagt Mahr, »sie wollten ihn ja ins Ausland verkaufen, da ham s’ mir den natürlich gschickt«.
Langsam bekommt man eine Ahnung davon, was Wiener meinen,wenn sie sagen, in Wien sei es nicht auszuhalten. Man erkundigt sich in harmloser Rechercheabsicht ein wenig – und schwups, steht man mitten drin im Kreuzfeuer paranoider Grabenkämpfer, watet in einem Dickicht aus Gerüchten, Verleumdungen und Widersprüchen; nicht sehr appetitlich, aber natürlich hochamüsant. Roth lehnt sich zurück: »Des woaß i eh, da san die Messer schon gschliffn! Wenn die Mythos-Beschützer die san, die nach Falcos Tod als große Freunde ins Licht getreten san – vor denen hob i kaane Angst.«
Natürlich geht es auch ganz handfest um Geld: Abenteuerliche Geschichten ranken sich um die Vollstreckung des Testaments, plötzlich tauchten dubiose Bierdeckel-Schuldscheine auf, verschiedene zweifelhafte Personen sollen sich bereichert haben, es gab allerlei Prozesse; die als Alleinerbin eingesetzte Mutter hat nach mehreren Schlaganfällen inzwischen einen Vormund, es ist alles sehr kompliziert. Ob Falco die Freunde hatte, die er verdiente, vermag man nicht zu beurteilen, fest steht aber, dass es eine sich Freunde nennende, nicht kleine Zahl Menschen gibt, die an ihm verdient. Einem berühmten Spruch Falcos nach hat die 80er Jahre nicht miterlebt, wer sich noch an sie erinnern kann – und genauso haben viele, die sich heute besonders gut an Falco erinnern zu können behaupten, ihn eventuell gar nicht gekannt. Oder sie haben ihre Erinnerungen an ihn mittlerweile zu oft formuliert, als dass sie noch wahr sein könnten. Statt an die Person Falco erinnern sich die Wiener Erinnerungsfanatiker nurmehr an die nachrufenden Erzählungen; das Ende im Sinn, wird auch der Weg dorthin derart schlüssig verdichtet und zugespitzt, dass man allenfalls eine Wachsfigur nach diesen Angaben modellieren kann: Falco war Genie und Depp, Charmeur und Arschloch, reich und verschuldet, manisch und depressiv, Angeber und Angsthase, nüchtern ein Engel und berauscht aber der Teufel – er selbst hat das natürlich in »Rock me Amadeus« viel schöner gedichtet, als er über Mozart (und sich) sang, »Er hatte Schulden, denn er trank / Doch ihn liebten alle Frauen« und »Er war Superstar, er war populär / Er war so exaltiert, because er hatte Flair«.
Unweit der U-Bahn-Station Kettenbrückengasse, an der »Falcostiege«, wartet nun einer, der Falco wirklich gekannt hat, dafür gibt es Zeugen und davon gibt es Fotos: Conny de Beauclair, eine Wiener Türsteher-Legende aus dem Club »U4«, dem Nachtleben-Ort zu der Zeit, als aus Hans Hölzel »Falco« wurde, der den Club im Liedtext »Ganz Wien« verewigt hat – »Im U4 geigen die Goldfisch’«. Heute geigen sie dort nicht mehr so sehr, es finden eher Studentenpartys statt, aber zu Falcos Geburts- und Todestag immerhin regelmäßig Gedenknächte. In diesem Jahr wird dort auch der Doppelgängerfriseur auftreten, er wird »das Original-Hemd aus Falcos ›Titanic‹-Video« tragen, schwarz mit weißen Punkten.
Unter dem Straßenschild »Falcostiege« fehlt neuerdings die Tafel mit der Inschrift
»Falco« Hans Hölzel (1957–1998)
Popsänger, eroberte 1986 mit
»Rock me Amadeus« die internationalen Charts.
Jemand hat sie abmontiert, es gibt also noch richtige, mutige Fans, insofern lebt das Werk. Gut so, oder? Geht so, sagt Conny de Beauclair und erzählt von Leuten, die kartonweise Memorabilia aus Falcos Landsitz in Gars am Kamp
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