Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auch Deutsche unter den Opfern

Auch Deutsche unter den Opfern

Titel: Auch Deutsche unter den Opfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benjamin Stuckrad-Barre
Vom Netzwerk:
Verkäufer im Sportgeschäft mir als »Funktionskleidung mit intelligenter Faser« angedreht hatte. Endlich mal dümmer als die eigene Kleidung sein, ist doch herrlich, brabbelte ich beim Anziehen vor mich hin. Die Frage war bloß, wieviele Textil-Schichten. Gemeinhin wird im Winter zum »Zwiebelschalen-Prinzip« geraten, vor ein paar Tagen aber hatte ich die Empfehlung eines Sportwissenschaftlers gelesen, dieses Prinzip nicht bei winterlichem Joggen anzuwenden: »Lieber fröstelnd loslaufen«. Sind drei Schichten schon Zwiebel? Eventuell, aber mit nur zweien hätte ich das Gefühl gehabt, allzu offensiv mit einer Lungenentzündung zu flirten.
    Sind die Wege nicht vereist, fühlt man sich als Jogger dem Normaltempo-Fußgänger weit überlegen. Man ist so schnell, so sportlich, so diszipliniert – Platz da! Im Winter ist es umgekehrt: Die Spaziergänger sehen beneidenswert aus, der Jogger muss viel genauer als sie darauf achten, nicht auszugleiten, er kann sich gar nicht etwaigen Ausschüttungen körpereigener Glücksstoffe hingeben, geschweige denn der Natur, so sehr ist er damit beschäftigt, die schnellen Schritte unfallfrei zu koordinieren.
    Hatte der Professor nicht geraten, durch die Nase ein- und durch den Mund auszuatmen? Durch die Nase eingesogen fühlt sich die Luft aber viel kälter an, Herr Professor!
    Ist das nicht ein schöner Tag? Keine Ahnung, ich darf nicht hinfallen, ich darf nicht hinfallen, ich darf nicht hinfallen. Der risikobedingte Stress ist so groß, dass der erhoffte Effekt (Entspannung, Ausgleich, Kräftigung) ihn kaum aufwiegen kann; Joggen im Winter ist in etwa so wie Sex mit der Verhütungsmethode »Ich pass schon auf«.
    Einige Fußwege sind frisch mit Granulat bestreut, auf anderen haben Spaziergängerkolonnen den Schnee zur Rutschbahn plattgelaufen, also läuft man besser dort, wo die Hunde hinscheißen, am Rand. Ja, drei Schichten sind schon Zwiebel. Die intelligente Faser weiß auch nicht weiter, schwitzend friere ich, das ist wie Fieber, hoffentlich bewirkt es keins.
    Die Spaziergänger wirken glücklich, sind gut zueinander: Wenn sie auf dem Boden einen einzelnen Handschuh finden, legen sie ihn freundlich auf einen Stromkasten. Sie latschen durch einen Bildband, er heißt »Berlin im Winter«. Wir Jogger hingegen gucken alle ziemlich angespannt aus unserer Funktionswäsche. Müssen wir also doch ins blöde Fitness-Studio, das jetzt im Januar überfüllt ist mit rührenden Guter-Vorsatz-Anfängern?
    Zuhause, unter der Dusche, fragte mich der Sonntag: Ein super Gefühl, wenn man sich aufgerafft hat, oder? Absolut, log ich ihn an, voll super.

[ Inhalt ]
    Tom Cruise auf dem roten Teppich
    Der rote Teppich ist noch gar keiner: Am Nachmittag liegt vor dem Eingang des Theaters am Potsdamer Platz bloß eine Plastikplane dort, wo nachher Tom Cruise zur Europapremiere seines Films »Operation Walküre« schreiten wird. Aber immerhin auch rot, die Plastikplane.
    Absperrgitter werden aufgebaut, Gasflaschen in Heizpilze gestellt, schwarzgekleidetes Sicherheitspersonal übt den bösen Blick – und natürlich stehen schon ein paar besonders hartgesottene Autogrammsammler herum und tauschen Heldengeschichten aus: Welche Berühmtheiten sie zuletzt wo abgepasst haben; wer freundlich war, wer ein arrogantes Arschloch, und wer demnächst in Berlin zu erwarten ist. Heute also Tom Cruise. Nachher, wenn er hier sein und in jede Kamera und jedes Handy lächeln wird und alle »Tom! Tom!« rufen, wird es so wirken, als seien alle hier die größten Cruise-Fans, immer schon gewesen, jeden Film x-mal gesehen. Doch diese Profi-Autogrammsammler, die schon da sind, bevor überhaupt der rote Teppich verlegt ist, sind in erster Linie Fan davon, Fan zu sein. Die Autogrammalben, die sie einander zeigen, weisen ihre Besitzer als Universal-Fans aus, von Florian Silbereisen und Bushido, von Helmut Kohl und Günther Jauch. Alle getroffen. Mickey Rourke soll im Februar kommen, ist zu erfahren. Da trifft man sich dann wieder, spätestens.
    Gegenüber, im ersten Stock des Hyatt-Hotels, wird jemand gefilmt, von hier unten sieht man nur seinen Hinterkopf. »Könnte Brad Pitt sein«, taxiert einer der Fan-Profis. Aber den haben sie schon am Vortag abgepasst.
    Da der Vorplatz des Kinos nicht besonders groß ist, aber etwa fünf Millionen Kamerateams und Autogrammsammler erwartet werden, bekommt die zu kurze Gerade von Bordstein bis Kinoeingang nunabzweigende Sackgassen, auch auf denen wird roter Teppich ausgerollt, umsäumt

Weitere Kostenlose Bücher