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Auch Deutsche unter den Opfern

Auch Deutsche unter den Opfern

Titel: Auch Deutsche unter den Opfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benjamin Stuckrad-Barre
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Mensch hüpfen.
    IV.
    Toller Winter? Jörg Kachelmann lacht ins Telefon und wiederholt dann spöttisch diese wenig wissenschaftliche Bewertung der momentanen Wetterlage: Toller Winter, ja? Was das denn bitte sein solle?
    Am Abend zuvor hatte man in den ARD-»Tagesthemen« das Wort Bilderbuchwinter gehört, als die Moderatorin überleitete zum (ein ziemlicher Schmunzler dieser Tage) »von den Finanzexperten der Commerzbank« präsentierten Wetterbericht, und da wird man doch noch fragen dürfen? »Die Eiseskälte hat uns weiterhin fest im Griff«, war zu erfahren, und jetzt möchte man es natürlich genauer wissen, am liebsten direkt vom sympathischsten Wettervorhersager Deutschlands, dem Schweizer Jörg Kachelmann: Wie lang bleibt der Schnee noch liegen, fällt gar neuer, wird es am Wochenende sonnig, aber nicht zu warm, so dass man vergnügt und mit roter Nase durch den winterglitzernden Tiergarten lustwandeln kann?
    Denn was einen, so man kein Landwirt ist, am Wetter interessiert, ist doch dessen direkte Auswirkung auf das eigene kleine Leben. Und die Beurteilung des Wetters ist demzufolge eine emotional argumentierende, also: ein toller Winter, oder, Kachelmann? Aber er, der Wetterprofi, bleibt sachlich. Er könne sich schon denken, sagt Kachelmann, dass Berliner derzeit mit lokalpatriotisch erwärmtem Herzen auf die Wetterkarte schauen, triumphierend wohl gar auf die aktuellen Schneehöhen, Moment, er sucht sie mal geschwind heraus, Schönefeld 7 Zentimeter, Dahlem 10, Potsdam 11 – und dagegen Garmisch-Partenkirchen:bloß einer. Na also, ein mickriger Zentimeter! Da kann man doch hier in Berlin bitte von einem tollen Winter sprechen? Man könne sprechen, wie und was man wolle, sagt Kachelmann, allerdings sei, was derzeit von »Jahrhundertwinter« und so weiter geredet werde, natürlich Blödsinn, ungewöhnlich sei allenfalls, dass gegenwärtig genau in den Regionen, die im Winter typischerweise als Erste und am verlässlichsten verschneit (und besonders kalt) sind, weniger »toller Winter« herrscht als in denen, die sonst zumeist ohne auskommen müssen.
    Ein Wunder? Nö. Die Deutschen, sagt Kachelmann, glaubten zwar gern an Wunder, auch an prognostische Fähigkeiten von Fröschen oder den Einfluss des Mondes auf das Wetter. Sei aber alles Quatsch. Dem Wetter sei der Mond, mit Verlaub, scheißegal. Also: Das Zeug (Kachelmann nennt unseren schönen Schnee »Zeug«!) sei von Norden gekommen, in der Mitte niedergegangen, und für den Süden sei dann eben nicht mehr so viel übrig geblieben.
    Zwecklos, Kachelmann in Wetterdingen zu anderen als streng nüchternen Betrachtungen verführen zu wollen. Was wir Winterbegeisterte, vom Schnee und dessen romantischen Versprechungen geblendet, als »kalte Pracht« bezeichnen – wie nennt er das? Winter. Man könne sich Folgendes merken: wolkenklare Nacht = kalte Nacht. Und eine solche führe zum Knirschfaktor des Schnees. Knirschfaktor, auch dieses Wort intoniert Kachelmann natürlich ironisch. Er weiß, die Menschen lieben es, wenn der Schnee unter ihren Schuhen knirscht, aber das bedeute bloß, dass der Schnee auf einen unter null Grad kalten Boden gefallen ist: viel Platz zwischen den Kristallen = Knirsch.
    Mal so herum: Welche Art Wintermantel empfiehlt er, welches Modell trägt er selbst? Immer denselben, sagt Kachelmann. Er friere oder schwitze kaum je. Augenblick, jetzt müsse er sich mal kurz die Nase putzen. Aha! Also doch, Kachelmann erkältet? Das Wetter nicht ganz richtig eingeschätzt und dann falsch gekleidet durch die Gegend gelaufen? Vielleicht doch nicht so gut, sein Allwettermantel? I wo, seine laufende Nase sei lediglich darauf zurückführen, dass er in gebeugter Haltungtelefoniere, weil sein Handy grad am etwas zu kurzen Aufladekabel hänge. Ihm persönlich, sagt Kachelmann, sei das Wetter herzlich egal – Hauptsache, die von ihm verantworteten Vorhersagen seien richtig. Also, ganz sachlich: Wie wird es in Berlin in den nächsten Tagen? Erst trüb, ab Sonntag Sonne, dann die Nächte wieder frischer (weil es zum Sonntag wieder aufklart), tagsüber um oder etwas über null.
    Na also, klingt doch – toll!
    Jaja, schon gut, sagt Kachelmann.
    V.
    Also mir fällt heute keine Ausrede ein, sagte der Sonntag. Ich schaute aus dem Fenster und sah, dass er Recht hatte. Blitzblauer Himmel, goldene Sonne, zudem kaum Einträge im Terminkalender – beste Bedingungen, es mit dem Joggen bei Schnee und Eis mal zu versuchen. Und so nahm ich aus dem Schrank, was der

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