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Auch Deutsche unter den Opfern

Auch Deutsche unter den Opfern

Titel: Auch Deutsche unter den Opfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benjamin Stuckrad-Barre
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sogenanntenFachgeschäft. Der Verkäufer (ein älterer Herr, wortkarg, aber äußerst sachkundig) greift zielsicher ins Regal, zeigt mir ein Paar schwarze Lederstiefel, mit Lammfell gefüttert, Kreppsohlen. Sehr schön, sehr warm, sehr rutschvorbeugend – und sehr teuer. Ist eine Investition, gibt der Verkäufer zu, allerdings würden diese Stiefel viele, viele Jahre halten. Also gut, kurbeln wir die Binnenkonjunktur an, »ich behalte sie gleich an«. Noch ziemlich schockiert vom Kaufpreis, gehe ich auf vereisten Wegen nach Hause. Trittsicher. Mit trockenen, warmen Füßen. Und so, wie die Hose über den Stiefelschaft fällt, könnte man jederzeit denken: Ist der verrückt – in Halbschuhen, bei dem Wetter? Trotzdem weiterhin schockiert vom Kaufpreis der Schuhe. Dann hilft mir eine Rechenaufgabe: Ich überschlage, wie immens viel Geld ich meinem Arbeitgeber, meiner Krankenkasse und mir selbst durch diesen Schuhkauf langfristig spare, schließlich bewahren mich diese Stiefel höchstwahrscheinlich vor winterbedingten Knochenbrüchen und Erkältungen. Und das auf viele Jahre! Ich spare so viel damit, übertreibe ich mein Gerechne, als ich zuhause angekommen bin (mittlerweile übereuphorisiert durch die so unmittelbare Verbesserung meiner Lebensumstände), dass ich, wenn diese Schuhe ungefähr drei Jahrzehnte halten, nie wieder arbeiten muss. Allenfalls mal aus Spaß – in einem Schuhgeschäft zum Beispiel.
    III.
    Ein leichtes Kratzen im Hals – ja, genau so werde ich der Hals-Nasen-Ohren-Ärztin den Grund meines Praxisbesuchs beschreiben. »Halsweh« klingt zu kindlich, »Halsschmerzen« etwas wehleidig – wie hübsch dagegen: »ein leichtes Kratzen im Hals«. So könnte der Titel eines in Paris spielenden Films lauten – Scarlett Johansson und Hugh Grant in Ein leichtes Kratzen im Hals. Würde ich sofort reingehen. Jetzt aber erstmal ins saisonbedingt gutgefüllte Wartezimmer. Zeitschriften aus dem vorletzten Oktober liegen da. Obwohl man das meiste, was damals für berichtenswert gehalten wurde, inzwischen natürlich vergessen hat, und alldie Geschichten einem dadurch ganz und gar neu vorkämen: lieber nicht drin blättern! Ist schließlich alles kontaminiert mit Erregern, sitzen hier doch ausnahmslos erkrankte Menschen, also Viren-Wirte.
    Hatschiiii – schon hat man sich angesteckt und mutet dem ohnedies strapazierten Immunsystem die Bearbeitung eines weiteren Infekts zu. Tröpfchenübertragung. Mit Scarlett Johansson würde man zwar gern Tröpfchen vieler Art austauschen, aber die ist grad nicht hier.
    Krankheiten, zu deren Behandlung man einen HNO-Arzt aufsucht, sind bis auf ganz wenige Ausnahmen nicht stigmatisiert, sie sind also nicht peinlich, allerdings hochansteckend. Wie in einem guten Krimi: Jeder ist verdächtig. »Ist der Platz neben Ihnen noch frei?« – »Äh, nee, ich warte noch auf jemanden.« Im Wartezimmer eines Unfallchirurgen lässt sich bei jedem Mitwartenden schnell erraten, warum er dort ist – bei HNO-Patienten ist das nicht ganz so leicht, obschon die betroffene Körperregion klar umgrenzt ist. Am unterhaltsamsten ist dieses wartezeitvertreibende Spielchen im Wartezimmer eines Psychiaters.
    Jetzt aber: Der Nächste, bitte!
    »Also, ich habe diesen Film mit Scarlett … Quatsch, ein leichtes Kratzen im Hals.«
    Aaaaaaaaaaa.
    Die Ärztin leuchtet meinen Rachenhinterraum aus und schaut sich dort mal genau um. Ziemlich schwere Entzündung, sagt sie. Ob ich Schluckbeschwerden habe? Hm, schon, aber das klingt ja eher nach ödem Schweigedrama mit Nina Hoss in Sachsen-Anhalt als nach flirrender Komödie mit Scarlett Johansson in Paris. Schwere Entzündung also, dieses leichte Kratzen. Jetzt im Winter, in einem solchen Winter zumal, steckt man sich natürlich pausenlos mit irgendwas an, folglich guckt die Ärztin mit allerlei Geräten auch noch in N und O, also Nase und Ohren. Das linke Ohr ist ebenfalls entzündet.
    Greift hier der Gesundheitsfonds? Keine Ahnung, ich habe bislang nicht verstanden, was das genau ist, dieser Fonds, jedenfalls tanzt der Ärztinnenstift nun ausgiebig über den Rezeptblock, Spray und Tropfenverschreibt sie mir. Prima, dann kann ich in der Apotheke gleich die neue Ausgabe von »Medizini« mitnehmen.
    »Schauen Sie Ende nächster Woche nochmal rein«, verabschiedet die Ärztin mich. »Ebenfalls«, sage ich, und da lachen wir beide, obwohl herzliches Lachen in solcher Mitmenschnähe natürlich nicht unriskant ist, zur Winterszeit, wenn die Viren frivol von Mensch zu

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