Auch Engel Moegens Heiss
gesamten Gemeinde in ihrem
Rücken zu spüren. »Was willst du hier?«, flüsterte sie noch mal, diesmal aber deutlich energischer.
Er neigte den Kopf zu ihr herüber, damit ihn sonst niemand hören konnte: »Du möchtest doch nicht, dass die Leute glauben, du hättest die ganzen Kondome für einen One-Night-Stand besorgt, oder?«
Sie erstarrte. Er hatte Recht. Nachdem er in ihre Kirche gekommen und neben ihr Platz genommen hatte, würden alle annehmen, dass sie ein festes Paar waren, weil kein Mann mit einer Frau in die Kirche ging und sich neben sie setzte, wenn die beiden keine ernsthafte Beziehung verband. Indem er einen einzigen Vormittag geopfert hatte, hatte er Daisys moralischen Status von »Bedenklich« zu »Verständlich« verändert. In der heutigen Zeit galt es als selbstverständlich, dass zwei gefühlsmäßig verbundene Erwachsene auch sexuell verbunden waren, selbst wenn die Religion das offiziell nicht gern sah.
Zwei Stunden später war Daisy ein nervöses Wrack. Das Wissen, dass der Polizeichef sie nackig sehen wollte, trug nicht gerade dazu bei, einen friedvollen Vormittag in der Kirche zu erleben. Sie hatte nach besten Kräften versucht, der Predigt zu folgen, nur für den Fall, dass der Pfarrer sie ins Visier nahm, aber ihre Gedanken waren dauernd abgeschweift. Insbesondere zu dem Mann an ihrer Seite.
Es verblüffte sie, wie nahe sie sich ihm gestern Abend gefühlt hatte. Obwohl sie lediglich einen Kuss getauscht und einander in den Armen gehalten hatten, kam es ihr vor, als sei viel mehr passiert. Sie war in seinen Armen beinahe verglüht, und auch an seiner Erektion hatte es nichts zu deuteln gegeben. Sie machte sich nichts vor; wenn sie nicht im letzten Moment einen Rückzieher gemacht hätte, hätten sie ganz bestimmt miteinander geschlafen.
Unwillkürlich rätselte sie, was wohl geschehen wäre, wenn sie ihre Moralvorstellungen vergessen hätte, wenn sie vergessen hätte, dass er überhaupt nicht ihr Typ war, wenn sie alles
vergessen hätte außer ihrer Lust. Nein, sie rätselte überhaupt nicht, sie wusste es - sie fragte sich nur, wie es wohl gewesen wäre.
Sein Geschmack wollte ihr einfach nicht aus dem Sinn. Ob er im Bett wohl erfüllte, was seine Küsse versprachen? Er küsste traumhaft und schmeckte wie ein Honigtopf. Selbst wenn er der schlechteste Liebhaber der Welt wäre, was sie schwer bezweifelte, würde sie das beinahe in Kauf nehmen, um sich nur nicht diese Küsse entgehen zu lassen. Wenn aber andererseits die Theorie stimmte, dass ein guter Küsser auch ein guter Liebhaber war - das hatte sie irgendwo gelesen -, dann musste Jack Russo zwischen den Laken ein einziger Traum sein.
Dies waren keine geziemenden Gedanken während eines Gottesdienstes. Sie zappelte unruhig herum, wobei ihr Bein bei jeder Bewegung seines zu streifen schien. Dank der Klimaanlage war es angenehm kühl in der Kirche, trotzdem hatte sie schon wieder das Gefühl zu verbrennen und spürte den fast übermächtigen Drang, die Schuhe von ihren Füßen zu schleudern und sich die Kleider vom Leib zu reißen. Entweder geriet sie verfrüht in die Wechseljahre, oder sie hatte Wallungen ganz anderer Art.
Ständig sah sie verstohlen zu ihm hinüber; sie konnte einfach nicht anders. Er war ordentlich und konservativ gekleidet. Wichtig war auch, dass seine Schuhe blank waren. Seit sie in einem Artikel gelesen hatte, dass der Zustand der Schuhe die Einstellung eines Menschen zu sich selbst und zu seinen Mitmenschen widerspiegelte, hatte sie peinlichst genau auf die Schuhe geachtet und war stets darauf bedacht, dass ihr eigenes Schuhwerk sauber und blank poliert war.
Sein grau meliertes Haar war entschieden zu kurz, aber es stand ihm gut. Oben deuteten sich ein paar Kringel an, was sie vermuten ließ, dass er es absichtlich so kurz schneiden ließ, um seine Locken im Zaum zu halten. Er war groß, wirkte aber kein bisschen schlaksig; stattdessen bewegte er sich mit einer
beherrschten, animalischen Grazie. Und an ihm war kein Gramm Fett; das hatte sie gestern Abend feststellen können. Er bestand durch und durch aus festen Muskeln.
Sie brachte entschieden zu viel Zeit damit zu, über diesen Mann nachzusinnen, der gar nicht ihr Typ war.
Er ließ die Hand sinken und strich mit den Fingerrücken ganz beiläufig über ihren Schenkel. Schwer schluckend starrte Daisy auf Reverend Bridges und versuchte, irgendetwas von dem mitzubekommen, was er sagte, doch der Reverend hätte genauso gut Chinesisch sprechen
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